Hörenswert: Postcards – „After The Fire, Before The End“
Nach dem Feuer, vor dem Ende – was kommt da?
Auch wenn es allgemeine globale Ereignisse scheinbar unglaublich nah an uns heranführen, Postcards bringen es noch näher. Ein durch die Ereignisse existenziell durchgeschütteltes Beirut, eine Heimat, die für Postcards auf mehreren Ebenen alles andere als Seelenruhe bedeutet. „After The Fire, Before The End“ versucht gar nicht, diese Augenblicke herauf zu beschwören sondern umarmt die Krise als das was sie ist – Flucht nach vorne, mit Postrock, Dream-Pop und weltflüchtigem Innehalten.
Hörenswert. RF-Album der Woche ist zu hören am Freitag, 29.10.21 ab 14:06 Uhr, Wiederholung am Donnerstag, 04.11.21 ab 00:00 Uhr
Home Is So Sad.
Was, wenn Sicherheit nicht mehr das bedeutet, was man nicht als anderes Gefühl kennt? Liebe, Sehnsucht, Wehmut, Angst und Hoffnung fühlen sich anders an, wenn alles anders ist. Postcards senden uns introspektive Ansichten zwischen unvergesslichen Sonnentagen, verträumter Verhallung und durchdringender Ungewissheit und Beklemmung.
2012 trafen sich Julia Sabra (Vocals), Marwan Tohme (Gitarre) und Pascal Semerdjian (Drums) bei einem Campingausflug und genauso bodenständig und geerdet klingen Postcards. Auch wenn das neue Album ein Musik gewordener Ausdruck existenzieller Schwere ist, ist es doch betörend und lädt ein zu Schwelgen – zugegeben, nicht ganz entspannt ob der Situation aber vielleicht gerade deshalb umso aufmerksamer.
Shoegaze zur Daseinsbewältigung.
Postcards wissen hervorragend die Wehklage zu reflektieren, wenn eine ganze Welt kopfüber über ihren Rand hängt und die Aussichten alles andere als berauschend sind. Ein Nicht-Aufgeben, ohne die Realität aus den Augen zu verlieren, dann darf auch die Musik entrücken.
Der Opener “Mother Tongue“ startet das kurze Innehalten zwischen den Ereignissen, in dem „After The Fire, Before The End“ verweilt, mit nervösem Bass, mit eruptiven Gitarren und einer beinahe zur positiven Energie gewordenen Hysterie – eine Atmosphäre, die vergleichbar mit Schockmomenten ist, in der der Körper erst zeigt, wozu er imstande ist. Eine Abrechnung mit dem Abhandenkommen der Geborgenheit, ein Antrommeln gegen allen Schmerz.
„Red“ und „Sea Change“ bestechen als Hoffnung zwischen Vernunft und Verzweiflung, lassen den Puls ruhig werden – ob aus Erschöpfung oder Beruhigung – und legen das Feld aus, zwischen ätherischer Schönheit und emotionaler Verdunkelung. Den vermeintlichen Abgesang „If I Die“ gestaltet Julia Sabra mit ihrer fesselnden Stimme zur Hymne:
„There is nothing left under the sun / houses stand like tombs / bodies back in wombs / The is nothing left but sun / Bury me in light“.
Wenn es das Ende ist, muss es auch gut sein. Und wenn es nicht gut ist …
„After The Fire, Before The End“ ist jene Sanftheit, die der Welt fehlt. Vielleicht bringt es auch die aufgebrachte Erde wieder zur Ruhe.
„After The Fire, Before The End“ von Postcards ist am 15. Oktober 2021 bei T3 Records/Galileo erschienen.
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