Hörenswert: The Marble Man – „Louisiana Leaf“
Artrockiger Space-Pop, New-Wave-Bass, Galeeren-Trommeln, erlösende Orgeln und postrockiger Trip-Hop: Damit irren The Marble Man auf „Louisiana Leaf“ zielstrebig durch die warme Dunkelheit des Stillstands einer Zeit und atmen den wunderschönen Verfall.
Hörenswert. RF-Album der Woche ist zu hören am Freitag, 16.07.21 ab 14:06 Uhr, Wiederholung am Donnerstag, 22.07.21 ab 00:00 Uhr
Nur einen Traunsteinwurf von Salzburg entfernt: The Marble Man Josef Wirnshofer – inzwischen mit fixer Band Jonas Übelherr, Boris Mitterwieser, Michael Zahnbrecher und Daniel Mannfeld – betreibt seit 2007 zeitloses Songwriting, das im Dachboden des Elternhauses seinen Anfang nahm und schließlich multiinstrumental über die Grenzen Bayerns hinauswuchs.
Eine besonderer Ehre, dass The Marble Man den Genre-Titel „New Weird Bavaria“ tragen dürfen, der sonst auch noch den großartigen Angela Aux / Aloa Input zusteht. Womit schon definiert ist, in welch guter Gesellschaft wir uns hier wieder befinden.
„Louisiana Leaf“ ist das vierte Album im großen Folk-Pop-Universum von The Marble Man und tritt über die Ufer wie Tränen über die Lider, spielt sich ungreifbar physisch im auditiv betriebenen Kopfkino als Musik gewordener Film Noir ab und lässt unwillkürlich die Zeit relativ werden. Dramatisch kurvig und wie das immer schneller werdende Karussell eines Vergnügungsparks bei Nacht in Zeitlupe: grell beleuchtet, die Farben verschwimmen, die Benebelung scheint das Bewusstsein wie einen Fluss mitzureißen.
Die Zeit spielt auf „Louisiana Leaf“ ihrer eigenen Rolle, hört man das Album im normalen Alltagsgetümmel, erscheint die umliegende „Realität“ fast absurd. So verharrt es zumal in spartanischen Andeutungen oder als in der Luft hängenden Seifenblasen aus Klanggeschichten.
The Marble Man eröffnen mit beißenden Gitarren und einer sphärischen Einöde, die erst durch ihre vage definierten Ecken und Kanten das Setting von „Louisiana Leaf“ festlegen. Ein Sound-Skelett, das in den folgenden 42 Minuten belebt wird wie das Kabinett eines Geschichtenerzählers, in dem um Mitternacht die Figuren zum Leben erwachen.
Josef Wirnshofer brachte viele solcher Skelette für das Album in den Proberaum, in dem gemeinsam mit der Band in frickeliger Detailverliebtheit nach und nach die Songs für „Louisiana Leaf“ entstanden. In unverstellten Arrangements, mit einer stimmlichen Spannbreite von regenschweren Delays bis hin zur schwebend-belegten Falsettstimme und mit einer musikalischen Palette, die alle Spielarten des Indie auslotet, schippern The Marble Man auf „Louisiana Leaf“ durch die beizeiten tiefen und dunklen Gewässer der Gegenwart.
Sie umschiffen vertraute Klangbilder, kommen ihnen nah und schrammen dann doch knapp daran vorbei – diese Mischung aus getriggerter Erinnerung und überraschender Andersartigkeit ist die Essenz des so typischen Sound von The Marble Man. Ein Rätsel in sich, das sich mit der Süße der Melancholie in das so wertvolle Staunen bei den Zuhörer*innen verwandelt.
„Louisiana Leaf“ ist übrigens auch selbst Rätsel, über den Titel darf offen spekuliert werden. Wir machen den Anfang und vermuten mal, es ist der Name des Bandschiffes, das im Port von New Orleans darauf wartet, auf eine abenteuerliche Suche nach dem verlorenen Schatz einer Voodoo-Königin zu gehen. (ob wir von dieser Spekulationsreise wohl zurückkommen?)
„Louisiana Leaf“ von The Marble Man ist am 9. Juli 2021 bei Millaphon Records erschienen.
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