Hörenswert: Markus Stockhausen – „Electric Treasures“
Magische Klangwelten. Einer der besten Trompeter überhaupt verabschiedet sich zum Teil von der niveauvollen Unterhaltungsmusik, die bisher seine Aufnahmen geprägt haben.
Auf seiner aktuellen Live-Doppel-CD „Electric Treasures“ geht es Stockhausen und seinem Quartett darum, die Musik in interaktiver Improvisation aus dem Moment heraus entstehen zu lassen. Diese Spielart nennt sich dann ganz aus der Tradition heraus „Instant Composition“.
Hörenswert. Das Album der Woche ist zu hören am Freitag, 05.02.10 ab 14:08 Uhr, WH am Donnerstag, 11.02.10 ab 00:00 Uhr.
Der Begriff „Instant Composition“ wurde von dem amerikanischen Jazz-Gitarristen Jim Hall kreiert. Unabhängig von Hall beschäftigte sich auch der Pianist und Komponist Misha Mengelberg mit dieser Spielart.
1967 gründete Mengelberg zusammen mit dem niederländischen Schlagzeuger Han Bennink das Label „Instant Composers Pool“ (ICP), da die Musikindustrie an den Erzeugnissen der „Instant Composition“ nicht weiter interessiert war (Einen ähnlichen Weg schlägt auch Stockhausen mit dem „Alternativ-Label „Aktivraum“ ein).
Bei der „Instant Composition“ geht es in erster Linie darum, die beiden Pole Komposition und (freie) Improvisation miteinander verschmelzen zu lassen. In diesem Zusammenhang ist es dabei durchaus legitim innerhalb der musikalischen Improvisation gewisse melodisch-thematische Verbindlichkeiten mit seinen Mitmusikern einzugehen. Damit unterscheidet sich die „Instant Composition“ wesentlich von einigen Ansätzen, die im Free-Jazz und auch bei John Cage zu finden sind, in denen jeder Musiker sich in seinem eigenen rhythmisch-tonalen Zentrum bewegen sollte.
Als Sohn von Karlheinz Stockhausen, einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, entstammt Markus Stockhausen (Jahrgang 1957) natürlich einer Tradition, die sich intensiv damit auseinander setzte, verkrustete musikalische Formen aufzubrechen und neue, visionäre Musikkonzepte zu entwickeln. Auch Markus Stockhausen, der zweifelsohne an seinem Instrument als der absolute Überflieger zu bezeichnen ist, beschäftigt sich mit den Möglichkeiten, der freien Improvisation mehr Struktur zu verleihen als das im Free-Jazz de Fall war.
Das vorliegende Album kann sowohl vom Klangcharakter als auch von der Besetzung als Fortsetzung der im Jahre 2000 auf ECM erschienenen CD „Karta“ gesehen werden, denn Markus Stockhausen trifft hier erneut auf Patrice Héral (Schlagzeug) und Arild Andersen (Kontrabass). Nur ergänzt nun statt dem Gitarristen Terje Rypdahl der Pianist Vladyslav Sendecki das Quartett.
Trotz des erläuterten musikalischen Konzeptes ist die Musik des Quartetts auf weite Strecken erstaunlich eingängig und nur selten kommt es zu eruptiven Ausbrüchen. So mancher Jazzfan würde sich hier wohl doch ein bisschen mehr Expressivität wünschen. Doch dann würde „Electric Treasures“ wohl noch mehr nach Miles Davis Meilenstein „Bitches Brew“ klingen, in dessen Tradition das Album zweifelsohne steht.
Dafür erzeugt das Quartett auf „Electric Treasures“ aber unglaublich magische Klangwelten, die den Hörer ganz unaufdringlich in seinen Bann ziehen. Das mag auch an den von Héral, Andersen und Stockhausen sehr gezielt eingesetzten elektronischen Sounds liegen. Leider produziert Sendecki ab und an Keyboard-Sounds, die eher an die geschmackloseren Momente von Joe Zawinul erinnern. Zudem handelt es sich bei „Electric Treasures“ um eine Live-Aufnahme (Live in der Kunst- und Austellungshalle Bonn, am 21.09.2007), bei der ja bekannterweise die Möglichkeiten zur Nachbearbeitung sehr gering ausfallen. Angesichts dieser Tatsache können sowohl Laie als auch Fachfrau nur so staunen ob der Brillanz dieses musikalischen Produkts.
Alles in Allem haben wir es hier nicht mit einem modischen Jazz-Album zu tun, sondern mit einer (wenigstens streckenweise) zeitlosen Perle der europäischen Improvisationskunst.
Das Album ist am 30.5.2008 bei Aktivraum erschienen.
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