Hörenswert: Pascal Gamboni – „Sut La Pial“
Die Out-Of-Genre-Bezeichnung Alpine Low-Fi triggert das alternative Österreich natürlich sofort.
Und nicht nur hierbei ist Pascal Gamboni unglaublich spannend. Mit „Sut La Pial“, zu deutsch „Unter der Haut“ ist der romanische Singer/Songwriter gleichzeitig Schweizer Urgestein, britische Psychedelica, musikalischer Globetrotter und nebenbei noch ziemlich poetisch.
Hörenswert. RF-Album der Woche ist zu hören am Freitag, 29.04.22 ab 14:06 Uhr, Wiederholung am Donnerstag, 05.05.22 ab 00:00 Uhr
Übermensch
Der Wikipediaeintrag ist Alemannisch, die Texte Romantsch (Rätoromanisch) und Englisch, die Herkunft schweizerisch (Graubünden), der Sprachklang irgendwo zwischen Italien und Portugal. Aus einer dünn besiedelten Heimat, die zu großen Teilen aus Bergen und Tälern besteht und in der die Menschen einen, für den Großteil der restlichen Welt, unverständlichen Dialekt sprechen. Von hier aus kreiert Pascal Gamboni ein Album voll balladesken Songs mit orchestraler Untermalung, psychedelische Exzesse und spärliche Klangmalereien bis hin zu 60er-Jahre-Beats.
In Wien gründete er während seines Musikstudiums die Gruppe „Clean“, mit der er 2000, den Vorbildern Portishead und Massive Attack folgend, nach Bristol übersiedelte. Unter dem Namen Thief touren sie schließlich mit Plattenvertrag und Management als Support für die Stranglers durch Großbritannien, in London initiierte Gamboni das Künstlerkollektiv Sun Gone Mad und eröffnet eine Bar. Ein Leben wie der Traum vieler Musiker*innen, die sich vom ausbleibenden Durchbruch nicht entmutigen lassen. Sun Gone Mad nimmt er 2010 auch mit bei der Rückkehr in die Schweiz und veröffentlicht das erste Album auf Romantsch, bereits 2011 ist das Kollektiv beim legendären Montreux Jazz Festival auf der Bühne. Unter seinem echten Namen Pascal Gamboni folgen Lese-/Musikreisen mit Arno Camenisch und Alben, die im eigenen portablen Studio entstehen.
Ju drova midada uss
„Der Teufel fürchtet die Musik“ (il giavel tema la musica) singt er im Opener „Tschicago“, das fast den alten italienischen Hadern ähnelt, die ziemlich laut aus den kleinen Boxen der Pizzeria am Eck dröhnen und bei denen jemand aus der Küche leidenschaftlich mitsingt. „Sut La Pial“ ist fast nur von Gamboni selbst gespielt und wurde in seiner Berner Wohnung aufgenommen, wobei ein hochdrehendes Motorrad nicht unwesentlich zur Authentizität und Spontaneität der Arrangements beträgt. Spätestens ab hier fließen ungeahnte Klangwellen, leuchten orchestrale Arrangements auf und wandelt sich der Sound langsam hinauf über den Horizont und erstreckt sich weiter, als zu sehen ist. Immer präsenter, immer gewagter die psychedelischen Signale, immer subtiler die ambientalen Geräusche.
So nimmt Pascal Gamboni die weite Welt mit nach Hause in die Berge und die Täler und verleiht der Internationalität einen ureigenen Ton, einen teuflischen Sound, der aber nichts mit dem religiösen Fellwesen zu tun hat, sondern sich eher in einer unglaublichen, fast unvorstellbaren Mischung an Einflüssen zu einer Faszination zusammenfügt, ein musikalischen Fabelwesen, das zu eigen ist, um wahr zu sein. Ein stiller Handwerker (die Tour zu „Ava la mar“ in Graubünden fand ausschließlich in Werkstätten, Museen, Galerien und Ateliers statt), der Inspiration vom Felsengrund der Tavetscher Heimat schöpft und wild, knapp, bescheiden und dennoch mit Urkraft in seinen Bann zieht. Alpine Lo-Fi, fast wie ein Paul Plut der Schweiz, im Grenzland zwischen den Ländern.
„Sut La Pial“ ist ein Album, das Sehnsucht nach Zuhause weckt, ohne näher bestimmen zu wollen, wo diese überhaupt liegt.
„Sut La Pial“ von Pascal Gamboni ist am 15. April bei Waterfall of Colours erschienen.
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