Artarium: Am Kehricht pfeift verliebt ein Rattenchor
Sonntag, 9. November 2014 ab 17:06 Uhr: Zum 100. Todestag von Georg Trakl suchen wir heuer ein letztes Mal die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs auf. Denn wir verstehen jenen verzweifelten Freitod des Salzburger Extremlyrikers am 3. November 1914 durchaus als eine direkte Auswirkung der schrecklichen Ereignisse, die er im September selbigen Jahres als hilfloser Helfer inmitten von todwund zerfetzten Soldaten erlebte, erlitt – und schließlich auch nicht mehr ertrug. Ob dieser dünnhäutige, dauerdepressive und schon seit früher Jugend schwer drogensüchtige Mensch allerdings von vorn herein zum Scheitern an sich selbst und unter allen Umständen zum Untergang verurteilt war – diese Frage muss offen bleiben. Dass seine düstere Dichtung einen aber auch zur Wahrnehmung unterdrückter Emotionen verführen – und im besten Fall zu deren sprachlichem Ausdruck befähigen kann – das darf als gesichert gelten …
Trakls Wortwelt entzieht sich weitestgehend eindeutiger Interpretation und klarer Zuordnung, wohl auch weil seine Person dabei stets eine geheimnisvolle geblieben ist. Die Symbole und Stimmungen in seinem Werk erschließen sich immer nur individuell, subjektiv. Das jedoch heftig, wie es wohl auch die Zustände waren, in denen sie entstanden sind. Manche(n) mag dies befremden oder gar verstören – die eigene Vorstellungskraft wird dabei jedenfalls zwingend in Gang gesetzt. Und so entfaltet sich eine ganz ähnliche Wirkung wie in der surrealen Malerei, der psychedelischen Musik oder beim Verzehr von bewusstseinsverändernden …… Das überlassen wir aber jetzt eurer Phantasie!
Geduckte Hütten, Pfade wirr verstreut,
In Gärten Durcheinander und Bewegung,
Bisweilen schwillt Geheul aus dumpfer Regung,
In einer Kinderschar fliegt rot ein Kleid.
Am Kehricht pfeift verliebt ein Rattenchor.
In Körben tragen Frauen Eingeweide,
Ein ekelhafter Zug voll Schmutz und Räude,
Kommen sie aus der Dämmerung hervor.
An einigen Plätzen in der Stadt Salzburg sind Gedichte von Georg Trakl in der Gestalt von Steintafeln angebracht, so wie das hier zitierte “Vorstadt im Föhn” neben dem Fernheizwerk bei der Lehener Brücke, wo sich einstmals der städtische Schlachthof befand. Doch weshalb würdigt man ausgerechnet in dieser Hochburg angepassten Funktionierens einen Dichter, dem jedwede fröhlich geschwätzige Normalität zutiefst zuwider war? Sind seine prophetischen Gesichte vor die Säue geworfene Perlen, der Allgemeinheit halt in die Sicht geschraubt, damit selbst der Umweg kunstsinniger Genießer und Individualtouristen noch rentabel ist? Bizarr …
Trakls im Spiegel seiner Seele bis zur eigenen Vernichtung verkörperten Vorhaltungen an eine ihn abweisende Spießgesellschaft sind hier prominent platziert nachzuvollziehen. Dass dieses von der eigenen Bedeutung bis zum Anschlag besoffene Wichtigtum, das menschlich nicht mehr imstande war, auch nur einen einzigen Außenseiter aufzunehmen, kurz darauf halb Europa mit Krieg überzog und in Schutt und Asche legte, das sollte uns gerade heute wieder zu denken geben! Das Unaussprechbare, das Trakl allerdings verklausuliert aufschrieb, bedarf nämlich einer Antwort an den Lebenden, soll es ihn nicht auf Dauer kränken, isolieren – und schließlich umbringen. Ob Dichtung in der Depression zum Ausweg wird – oder zum Untergang – das liegt schon am Du.
Erfrischend Unblödes zu Trakls Biographie in diesem SPIEGEL Artikel von 1957.
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