Hörenswert: Das Orchestre National de Jazz – „Europa Berlin“
Achtung Kunst! Auf ihrem neuen Album weiß das französische Nationalorchester ein immens breites Klangspektrum zu erzeugen. Zwischen durchkomponierten Elementen und freier Improvisation baut sich hier ein Spannungsfeld auf, das durch ständige metrische Wechsel und variierende tonale Zentren in steter Wandlung begriffen ist. Dadurch ergibt sich ein hochspannender Einblick in die französische Avantgarde.
Hörenswert. Das RF-Album der Woche ist zu hören am Freitag, 14.08.15 ab 14:08 Uhr, Wh am Donnerstag, 20.08.15 ab 00:00 Uhr.
Bei dem Orchestre National de Jazz handelt es sich um das 1986 vom Musikwissenschaftler Maurice Fleuret gegründete und von der französischen Republik finanzierte Nationalorchester. Ein institutionalisiertes Jazzorchester? Da ist man wohl vorerst geneigt zu denken, dass es sich hier um etwas sehr spießiges und verstaubtes handelt. Falsch gedacht.
Als mein Freund und ich letztens die Klause besuchten, hörten wir dort Big-Band-Musik die uns sehr beeindruckte. Nachdem wir rätselten, was dort wohl zu hören war, klärte uns unser Tischnachbar auf: er meinte, es handle sich bei der gut aufgelegten CD um eine Big-Band-Adaption der Musik von Frank Zappa. Doch mein Freund war sich sicher, dass es Musik von Led Zeppelin war (Gut er ist auch Gitarrist). Er hatte recht: zu hören war das Orchestre National de Jazz mit unglaublich virtuosen, ausgefeilten und vor allem sehr originellen Interpretationen von Led Zeppelin-Nummern („Close to Heaven – A Led Zeppelin Tribute“ 2006).
Da sowohl Musiker wie auch die musikalischen Leiter des Orchesters bewusst des Öfteren wechseln, ergibt sich auf jeder CD ein ganz neues Klangbild. Mittlerweile ist mit Olivier Benoît ein Mann berufen worden, der aufgrund seiner Leitung des Orchester-Dirigate bereits Erfahrung in dieser Sparte aufzuweisen hat und somit gut zum Anforderungsprofil der Stellenbeschreibung von Frankreichs Kulturministerium passt. Mit der „Europa-Serie“ möchte Benoît den Puls der europäischen Metropolen musikalisch umsetzen. Natürlich nicht den Puls der Clubs. Nach Paris waren dieses Mal Berlins Viertel musikalischer Nährboden für die gefinkelten Kompositionen Benoîts:
„Klar, die Art und Weise meines Schreibens wurde stark dadurch beeinflusst, wie ich mich hier gefühlt habe. Ich habe eine absolute Ruhe empfunden hier in der Stadt. Ich bin derselbe geblieben, aber ich war in einer ganz anderen Verfassung beim Schreiben als in Paris. Die Komposition Paris – das ist eine große Suite – eine Abfolge von fast eineinhalb Stunden, die niemals anhält. Vielleicht auch typisch für Paris, immer weiter, immer mehr, ohne Anzuhalten. In den Berlin-Stücken gibt es hingegen auch Pausen. Und es sind viele total unterschiedliche Teile.“
Viel Dynamik, ständig wechselnde Klangbilder, geräuschhafte und expressive Teile, Patterns und ganz frei anmutende Sounds. Das alles macht „Europa Berlin“ zu einer musikalischen Wundertüte, die so manche Überraschung mit sich bringt. Das Orchestre National de Jazz hat durch die staatliche Förderung die Möglichkeit bekommen, Musik frei von ökonomischen Zwängen zu machen. Diese Freiheit nutzt das Ensemble, und das ist sicher auch in seiner Musik zu hören. Spannend.
Olivier Benoit – g, Jean Dousteyssier – cl, Alexandra Grimal – ss, ts, Hugues Mayot – as, Fidel Fourneyron – tb, tuba, Fabrice Martinez – tp, flh, Theo Ceccaldi – v, va, Sophie Agnel – p, Paul Brousseau – ep, b-synth, Bruno Chevillon – b, bg, Eric Echampard – dr
Das Album ist am 27. April 2015 auf Onjazz erschienen.
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