Hörenswert: International Music – „Endless Rüttenscheid“
Das Label heißt Timeless Melancholic Music, also bitte!
International Music singen auf „Endless Rüttenscheid“ so schön zusammen wie nie, bringen Gefühlschaos mit und auch jede Menge Gründe, um sich und die Liebe irgendwo festzuhalten, ohne auf Achterbahnfahrten zu verzichten.
Hörenswert. Das RF-Album der Woche ist zu hören am Freitag, 23.8.24 ab 14:08 Uhr, Wiederholung am Donnerstag, 29.8.24 ab 00:00 Uhr
Aus der Rubrik: Stadtteile, die es geschafft haben
Also, was ist eigentlich Rüttenscheid? Der Essener Stadtteil hat genug Charme, um als Albumtitel groß rauszukommen. Die drei Wahl-Essener Peter Rubel (Gitarre, Keyboard und Gesang), Pedro Goncalves Crescenti (Bass und Gesang) und Joel Roters (Schlagzeug) gründeten International Music 2015 und sind seitdem professionelle Horizont-Dreher, Raum-und-Zeit-auf-den-Kopf-Steller, Lakonie-Rocker, Melancholie-Punker und das alles noch dazu mit unglaublicher Sympathie und Texten, die geschickt und immer schräg sehr ins Schwarze treffen – und einfach „timeless melancholic music“ sind. Denn nach 6-jährigem Praktikum beim Berliner Label Staatsakt hat die Band für ihre eigenen Release-Angelegenheiten das eigene Label Timeless Melancholic Music gegründet. „Endless Rüttenscheid“ ist somit die Katalognummer 1!
International Music hat, wenn man ehrlich ist, eigentlich alles: mal 60er, mal 90er und alles dazwischen. Konsequent verwirrend und dann doch wieder glasklar. Vielleicht, weil International Music zu zwei Dritteln aus den Düsseldorf Düsterboys bestehen und die wir zugegeben sehr lieben. Gemeinsam entwickeln sie mit großer Faszination für die unterschiedlichen Techniken und Gerätschaften aus mehr als 50 Jahren Rock- und Popgeschichte die eigene Musik immer weiter, der unverkennbare Harmoniegesang der drei nimmt seit dem Debüt-Album „Die besten Jahre“ (2018) mit dem eigenen, farbenfrohen und minimalistischen Rock-Sound Fahrt auf, immer gespickt mit Beat & Boogie, Krautrock, New Wave, Shoegaze und Postrock. Alles sehr old-school und gleichzeitig so fresh, wie im falschen Jahrzehnt.
Hier nur Kraut und Rüben, drüben blühen Blüten
Also, was ist eigentlich Rüttenscheid? Auch ohne Stadtteildetailfachwissen kann man sehr schnell reinfallen, in die Musik, die in Albumform vor sich hin tagträumt, immer wieder zum Schellenkranz greift und zwischen Euphorie und leiser, charmanter Unsicherheit beim verkaterten Sonntagsfrühstück sitzt: gemütlich, aber irgendwie auch ein bisschen neben sich. Der Albumtitel, eine wahre Zungenbrecher-Challenge für internationale Feuilletons, die Geschichten, zwischen Kraut, Fehlern und guten Orten. Ein bisschen so, als würde Wes Anderson einen Film über Essen drehen. Hier, zwischen den aufstrebenden Neubauten und den alteingesessenen Eckkneipen, entfalten sich wohlige Ecken der Sehnsucht und Nischen der Nostalgie, immer irgendwo am Spektrum zwischen Liebe, Abschieden, den unsichtbaren Stationen im Leben, die oft viel länger bleiben als geplant.
„Endless Rüttenscheid“ kreist wenn überhaupt um das lose Gebilde der „Festen Beziehung“, das, was damals die BRAVO als Nonplusultra-Ziel der Hormonell-Verwirrten postulierte und sich jetzt beim Aussprechen doch irgendwie seltsam anfühlt (sag mal „Tafelkreide“). Ab wann ist eine Beziehung überhaupt „fest“ und wie lange bleibt sie so? Kann man Liebe konservieren? Und können wir das überhaupt wollen? Low-Fi-Kraut-Indie scheint hier das richtige Genre, hier im Endless Rüttenscheid, wo nichts so ganz ist, wie es scheint, aber genau das ist der Punkt. Das Ganze wird von Olaf O.P.A.L. produziert, der die Songs mit einer charmanten Lo-Fi-Patina überzieht, die klingt, als hätten wir hier eine verschollene Aufnahme aus der goldenen Ära der Musikkassetten vor uns. Ein altes VW-Bus-Campingabenteuer, das nie so richtig zu Ende ging.
Wenn du willst, mal ich dir ein Bild
Wenn du willst, sind wir drauf
Der Opener „Kraut“ hat natürlich auch gleich alles, 70er-Psych-Surf-Gitarren-Schrammel-Drive, c’est la vie und radikale Gefühlswechsel zwischen Party und Sentimentalität. Ein wilder Tanz auf einem schiefen Jahrmarkt, der Sound schlägt Haken, die Stimmung kippt in einen bittersüßen Dämmerzustand. „Fehler“ steigt dann gleich tiefer, nach der Kraut-Euphorie kommt die leise Ahnung, dass da doch nicht alles ganz richtig gelaufen ist. „Endless Rüttenscheid“ erinnert an die fragilen Grenzen, die wir gerne ziehen, nur um sie später wieder einzureißen. Und während wir uns durch den musikalischen Nebel tasten, bleibt immer die Frage: Wie lange hält man fest? „International Heat“ haut dann so richtig rein, der Himmel hängt voller Gitarren, alles ist möglich und die Liebe zerplatzt in Seifenblasen: Der Soundtrack zu einem imaginären Sonnenuntergang auf einem Planeten, auf dem immer Sommer ist – zumindest solange, bis der Kühlschrank leer ist: „Es kann nur eine Liebe geben, für immer auf der Wiese leben“.
Doch bevor sich der Traum verliert, holt dich „Guter Ort“ nochmal ab, du spürst die flüchtige Schönheit des Augenblicks, winkst ihm nochmal nach und dann ist wieder alles still. „Hier ist ein guter Ort zu leben, hier ist keiner, der lang bleibt, eine Zwischenstation, die lange war und länger wird, von mir zu Dir, von hier zu Dir“. Die Hymne für alle Liebenden nicht nur in Fernbeziehungen.
Heute Morgen oder nächstes Jahr
Also, was ist eigentlich „Endless Rüttenscheid“? Eine Karussell aus Klängen und Gefühlen, wie das Leben: manchmal chaotisch, manchmal schön und immer irgendwie endlos. Mit International Music ist man gleichzeitig etwas verloren und zu Hause, wie bei einem nächtlichen Spaziergang durch unbekannte Straßen, bei dem du plötzlich weißt, wo du bist, aber keine Ahnung hast, wie du dahin gekommen bist. Und wir wollen nichts anderes, als endlos durch Rüttenscheid zu flanieren.
„Karma ist Karma, come on enjoy only yourself, ist doch kein Drama, haben wir Zeit oder wird es schon hell“.
HALLOHALLO International Music spielen bald in Salzburg!
„Endless Rüttenscheid“ von International Music erscheint am 6.9.2024 bei Timeless Melancholic Music.
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