Hörenswert: Nikolaj Efendi – „Vulgo“
Bei Nikolaj Efendi gibt es keinen Stillstand und kein Stehenbleiben. Er erkundet auf seinem dritten Album „Vulgo“ nicht nur das eigene Daheim-sein im Selbst, sondern auch was es heißt, ein Daheim nicht mehr zu fühlen. Und streift dabei düster durch die Welt der slowenischen Partisanen in Kärnten. Zu gleichen Teilen ein Soundtrack zu seinem zuletzt erschienen Buch „Die Stadt, die uns das Feuer nahm“ wie auch die logische Fortsetzung nach dem letzten Album „Temper“ (2017). Meta-Dystopie zum Staunen.
Hörenswert. Das RF-Album der Woche ist zu hören am Freitag, 08.11.19 ab 14:08 Uhr, Wiederholung am Donnerstag, 14.11.19 ab 00:00 Uhr.
Landläufig so genannt.
Nikolaj Efendi ist ein Troubadour mit Multitalenten, musikalisch wie auch erzählerisch und überhaupt, im Leben. Auf „Vulgo“ flechten sich nicht nur die Pfade einer persönlichen Vergangenheit ein, sondern sie gehen Hand in Hand mit der Geschichte eines Landes und dem Schicksal von Grenzgängern. Die gebührende Theatralik und das dramaturgische Feingefühl, mit der Efendi erzählt, lassen das Album nicht nur sofort als Konzeptalbum erfahren, sondern man wünscht sich unmittelbar eine Inszenierung – wobei „Vulgo“ alles andere als Schauspiel ist.
Leave the wounded behind?
Der Kampf der kärntnerisch-slowenischen Partisanen brennt fast spürbar auf Efendis Haut, eine Geschichte, die auch bei seiner Band Roy de Roy als Leitmotiv dient – dort allerdings in einer herrlichen Hau-drauf-Attitüde mit viel Balkan-Punk und Rebellion (und schweißtreibenden Konzerten). Auf „Vulgo“ marschieren die Protagonisten sinngemäß in Kälte und Düsternis nicht immer auf den Erfolg und den Sieg ihrer Rebellion zu, sondern es wendet sich die Betrachtung weit mehr in das Innere – das Innere eines Geistes, der nur nach Freiheit, Gerechtigkeit und nach Leben strebt. Auch wenn die Aussicht manchmal alles andere als bestätigend ist.
„Nikolaj Efendis „Vulgo“ ist ein Album, das sein Pulver nicht sofort verschießt“, beschreibt es Michael Ternai bei MICA so treffend, Efendi nimmt nichts vorweg, Geschichtsunterricht hin oder her. Ganz im Gegenteil ist „Vulgo“ ganz im Stil Nick Caves oder Einstürzende Neubauten ein Konstrukt, dass erst durch die Dekostruktion einer erwartbaren Herangehensweise zu jener Liebeserklärung an die Geduld wird. Totenglocken läuten anders, Trompeten wie aus der Ferne hallen über das Feld des Geschehens. Nikolaj Efendi und seine Kumpanen preschen voran, Kompromisslosigkeit in jeder Pore. Die Songs flimmern regelrecht aus den Boxen, bevor sie nach ihrem Ausklingen eine Art Benommenheit, aber auch Aufruhr hinterlassen.
Man möchte etwas anzünden. Aber positiv.
„Vulgo“ von Nikolaj Efendi ist am 27. September 2019 bei Dramatic Pause erschienen.
großartig! Danke