Hörenswert: Ibrahim Maalouf – „Kalthoum“
Dieser in Beirut geborene Trompeter ist ein wahrer Pionier: Er ist weltweit der einzige Trompeter, der dank seiner Viertelton-Trompete mit klassisch arabischen Melodiegerüsten spielen kann. Ein Instrument, das sein Vater eigens dafür in den 1960er Jahren erfand. Seine Kunst brachte dem nun in Paris ansässigen Maalouf gleich drei Mal den wichtigsten französischen Musikpreis ein. „Kalthoum“ ist eine hymnisch anmutende und ornamentale musikalische Verbeugung vor eben jener großen arabischen Sängerin.
Hörenswert. Das RF-Album der Woche ist zu hören am Freitag, 27.11.15 ab 14:08 Uhr, Wh am Donnerstag, 03.12.15 ab 00:00 Uhr.
Andere Länder – andere Sitten. Andere Kulturen – komplett andere Musik.
In der klassisch arabischen Musik existieren keine komplett notierten Werke. Was es stattdessen gibt ist ein offener Fundus von Melodie-Grundgerüsten. Erst durch die individuelle Interpretation des Musikers und seiner Improvisation entsteht das Kunstwerk. Im Gegensatz zu unserer Dur-Moll-Harmonik spielen dort Vierteltöne eine große Rolle. Dieser Umstand machte es der Trompete bisher recht schwer in diese musikalischen Gefilde vorzudringen. Das hat Ibrahim Maalouf nun geändert. Aber ohne sich dabei in irgendeinem überflüssigen musikalischen Purismus zu verirren.
„Kalthoum“ klingt trotz der vielen arabischen Melodien weltoffen, jazzig und unglaublich hymnisch. Dabei bleibt die Musik aber trotz einiger recht rockiger Phasen immer elegant und edel. Natürlich: Maalouf besitzt eine unglaubliche Technik und einen unglaublich narrativen Ton, der beachtlich vielfältig zu verführen weiß. Das wird aber sehr angenehm, frei von Pathos und jeglicher Egomanie präsentiert. Mit Schlagzeug, Klavier, Bass und Saxofon besetzt ist auch das Klangbild und die Orchestrierung eher klassisch-jazzig und alles andere als orientalisch. Diese klangbildliche Neutralität verleiht dem Album vielleicht die Möglichkeit, sich den orientalischen Melodien in einem gewohnten westlichen Klangbild zu nähern.
Ibrahim Maalouf ist das Kind einer Pianistin und eines Trompeters und in Künstlerkreisen aufgewachsen. Seine nähere Verwandtschaft bestand aus Schriftstellern, Journalisten und Musikern. Die Familie flüchtete vor dem libanesischen Bürgerkrieg nach Frankreich. Maalouf, der von seinem Vater an der Trompete unterrichtet wurde, interessierte sich mit seinem kulturellen Hintergrund sowohl für klassisch europäische, als aber natürlich auch für traditionell arabische Musik und Jazz. Letzteres eine Kunstform, die den Ansatz der Improvisation mit der arabischen teilt. Des Weiteren spielten andere Musikkulturen gerade bei der hoffentlich nie stillstehenden Entwicklung des Jazz schon immer eine ganz zentrale Rolle.
Haben sich lange amerikanische Jazzmusiker davon inspirieren lassen, bringen nun immer mehr Musiker nicht westlicher Herkunft ihre eigenen Musikkulturen ein. Daraus entsteht oft viel Neues und Gutes. Maalouf, der sowohl in der Klassik als auch im Jazz reihenweise Preise abräumt, hätte somit Grund genug, eingebildet zu sein. Umso schöner, wenn man die musikalische Gleichberechtigung in dieser fantastisch eingespielten Formation wahrnimmt, die uns solch ein gelungenes Album schenkt.
„Kalthoum“ ist ein sehr gelungenes, durchweg schlüssiges und mitreißendes progressives Jazzalbum, das trotz aller Raffinesse und aller Verzierungen aufreizend gelassen und zugleich auch wirklich wild klingen kann.
Das Album ist am 2. Oktober 2015 auf Impulse erschienen.
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