Hörenswert: Isolation Berlin – „Geheimnis“
Komm, ich erzähl dir mein Geheimnis.
Das vierte Album von Isolation Berlin krämt zwischen Geheimnissen, baut Luftschlösser, bespricht private Probleme und alles, wovon man Angst haben kann. Eine Therapiestunde mit Indie-Liedermacher-Pop und Rock’n’Roll, Noise Rock und New Wave.
Hörenswert. RF-Album der Woche ist zu hören am Freitag, 08.10.21 ab 14:06 Uhr, Wiederholung am Donnerstag, 14.10.21 ab 00:00 Uhr
Ich hab private Probleme.
Isolation Berlin und vor allem in Persona ihr autobiografischer Sänger Tobias Bamborschke hat noch nie zwischen Privatperson und Kunstfigur unterschieden, ist unnahbar genauso wie fast zu nahe an dem tieften Inneren. Ist das jetzt echt oder verdammt gut inszeniert? Weder live noch auf Platte vermag der Unterschied zu gelingen – und ist schlussendlich wohl auch nicht nötig. Über die üblichen Authentifizierungsprobleme im Rock brauchen wir bei Isolation Berlin also nicht zu reden. Und eigentlich auch nicht über die privaten Probleme, da reicht es zu wissen, dass sie existieren.
Abgeschieden und abgeschottet im selbst eingerichteten Studio in Berlin-Buch wurden die elf Songs für „Geheimnis“ für das Band erzählt, über die kleinen und großen Beschädigungen des Körpers und der Seele. Von Schule und Fußball über über Liebe und Alkohol bis hin zum aus-der-Haut-fahren weils da drinnen einfach zu eng wird.
Da ist ’ne Faust in meiner Tasche, die will da endlich raus.
Die Brachialität der Musik, die dreckigen Rockriffs der letzten Alben haben Isolation Berlin weitgehend gezähmt und dafür mit noch mehr Nachdruck ins Songwriting transferiert. Max Bauer arrangiert um das Songwriting herum sparsam zurückhaltende Gitarren und dafür mehr Streicher, David Specht und Simeon Cöster trip-hoppen mit Bass und Schlagzeug im Rhythmus. Die postmoderne Einsamkeit klingt nach glänzender Nostalgie mit großer Lyrik, nach Neue-Deutsche-Welle-Knorrigkeit in elegant gegürteten Gewändern und zerzauster Seriosität. Es ist kein Nachtrauern eines vergangenen Zustands, wie es bei den unzähligen Geschichten der Leiden des jungen Menschen passiert, sondern wie ein Déjà-vu aus der Zukunft, eine vergangene Vision. Dieser Zwischenstand ist es vielleicht, der Isolation Berlin erlaubt, pfeifend zu bedauern und konstant auf leichten Sohlen am Abgrund entlang zu tänzeln, scheinbar ohne Furcht vor dem Absturz. Eine einzigartige Schwerelosigkeit in Form einer Punkband, die das Wilde und Rohe zum Diamant feingeschliffen in Geschichten presst. Protopop in Reinform.
Ich will trinken bis zum Morgengrauen, ein lustiges Haus aus Bierdeckeln bauen.
„Geheimnis“ ist ein bisschen wie eine Party, auf der man eigentlich nicht sein will aber soll, irgendwas dabei war wohl wichtig aber man hat es vergessen. „Alle haben sichtlich Spaß. Außer Rampensau Tobias Bamborschke. Der hat private Probleme. Aber er will nicht darüber reden. Dafür wird er immer wieder von den anderen Partygästen gemobbt, angerempelt und mit Softballen beschossen. Und zum Schluss gibt es ein Dinosaurier-Schnitzel.“ (Staatsakt)
Ich bin ja dafür, dass Isolation Berlin inzwischen echt zum Genre werden könnte.
Oder zumindest zur Epoche.
Übrigens, Leseempfehlung:
Tobias Bamborschke hat inzwischen auch seinen zweiten Gedichtband „Schmetterling im Winter“ veröffentlicht (natürlich auf der Schreibmaschine getippt). Man hört ja, dass der Winter bald kommt und sein erster Band „Mir platzt der Kotzkragen“ ist leider schon vergriffen.
„Geheimnis“ von Isolation Berlin erscheint am 8. Oktober 2021 bei Staatsakt.
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