Hörenswert: Sharon Van Etten – „We’ve Been Going About This All Wrong“
And crazy as can be / It’s not dark, it’s only darkish.
Sharon Van Etten macht Musik, die man aufsaugen, einpacken und für die dunklen Momente aufheben möchte, nur um sich, wenn es so weit ist, erleichtert noch tiefer ins Dunkle zu schmiegen. „We’ve Been Going About This All Wrong“ ist ganz in diesem Sinne eine unverwechselbare Heilung durch die Ästhetik der Nacht, deren Herrscherin Sharon Van Etten zweifelsfrei ist.
Hörenswert. RF-Album der Woche ist zu hören am Freitag, 10.06.22 ab 14:06 Uhr, Wiederholung am Donnerstag, 16.06.22 ab 00:00 Uhr
Even if I make a mistake / Turns out it’s great.
„Every Time The Sun Comes“ war lange Zeit nicht nur der Signature Song von Sharon Van Etten sondern auch der gewaltigste Titel der jüngsten Pop-Geschichte. Mit „We’ve Been Going About This All Wrong“ legt sie Singer/Songwriterin aus New Jersey nun gemäß den höchsten Erwartungen nach und stößt die Gedanken hinab in die Reflexion über Sehnsucht, Stärke, Scheitern und Hoffnung und lässt und ruhigen Gemüts auf die brennende und rauchende Umgebung blicken. Eine Art Superpower, scheint es fast, die sich über die Alben immer wieder bestätigt: Die hohe Kunst der völligen Devastation mit der beinahe meditativen Ruhe zu betrachten und sich nur im ersten Moment zu wundern, warum die Angst so völlig abwesend ist.
Mit jeder Platte hat Van Etten das schwierige Kunststück geschafft, ihren Sound zu erweitern: Nach dem flüssigen „Are We There“ von 2014 und dem verzerrten und verdammten „Remind Me Tomorrow“ von 2019 folgt nun mit „We’ve Been Going About This All Wrong“ ein lodernder Scheiterhaufen mit fast monumentalen Ausmaßen und ausgewählter Schärfentiefe mit fein detaillierten dramatischen Bögen. Das klingt fast schon zu pathetisch aber Sharon Van Etten kann die großen Gesten, ohne ihre Anziehungskraft zu ersticken.
I couldn’t feel anything.
Episch und beharrlich ist die Dualität der düsteren Romantik und der freudvollen Melancholie. Resilienz war das Zauberwort der vergangenen Jahre, Sharon Van Etten erwächst der bloßen Anpassung, hin zu einer übermenschlichen Kohärenz der Ereignisse. Verlässliche Destabilisierung hat im besten Fall diametral gelegene Folgen und so wird das Motto des Albums gefühlt zu: Angesichts der Umstände sind wir am rechten Weg. So wandlungsfähig wie Van Etten sich in ihrer Interpretation beweist – von der DIY-Künstlerin hin zu den Grand Madame des Pop Noir – so veränderbar und mitnehmend sind die Stilgewänder und Instrumentalwände, an denen wir uns anlehnen und unsere – von der Welt – heißen Wangen an wohldosiertem Pathos, an eleganter Resignation und hymnischer Dringlichkeit kühlen.
Zukunftsbotschaften an ihren kleinen Sohn, Erinnerungen an Verluste und Befreiungen, impressionistische Bilder von Angst und menschlichen Unzulänglichkeiten, kurze Momente der Sicherheit aber in Summe das offene Statement, trotz jahrtausendlangen konzentriertesten Denkens immer noch im Zustand völliger Konfusion zu sein. „I’ll try“ bricht mit Trommelwirbel ein Crescendo auf, das mit ein wenig New-Wave-Glitter funkelt und mit leicht spöttischem Lächeln den Blick freigibt auf kleine Momente der Sicherheit inmitten des Tumults. Die Funken sprühen und eine Ahnung blitzt auf, wie man Dinge richtig machen könnte. Sharon Van Ettens Musik ist ein zuverlässiger Leuchtturm, der den Weg in die seelische Sicherheit erleuchtet.
„We’ve Been Going About This All Wrong“ von Sharon Van Etten ist am 6. Mai 2022 bei Jagiaguwar/Cargo erschienen.
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