Hörenswert: The Ex – „27 Passports“
Die niederländischen progressiven Post-Art-Punker von The Ex bringen nach (fast) 40-jährigem Bestehen (Baujahr 1979) und als Album Nummer 26 den ersten Longplayer mit ausschließlich neuen Songs seit „Catch My Shoe“ von 2010 ans Licht und erfolgreich sich festbeißend in unsere Gehörgänge. „27 Passports“ ist das Punkalbum für Jazzer, die Weltanschauung für Audiophile und die schwelende Aufforderung: Forward!! In all directions!
Hörenswert. Das RF-Album der Woche ist zu hören am Freitag, 16.11.18 ab 14:08 Uhr, Wiederholung am Donnerstag, 22.11.18 ab 00:00 Uhr.
I can forsee, that this town will go down / I forsee we’re all going down.
Das Vertonen von politischen und gesellschaftlichen Issues haben bei The Ex quasi schon Tradition. Dementsprechend komplex und im positivsten Sinne schwer wiegt „27 Passports“ als Liederbuch des Lebens. Mitreißend, hypnotisch und komplex gestalten die drei Gitarristen Andy Moor, Terrie Hessels und Arnold de Boer und Schlagzeugerin Katherina Bornefeld ein zeitgemäßes Abbild der Gefühlsregungen, Ängste und Hoffnungen unserer Generation. Schöpfend aus ihrem eigenen jahrzehntelangen Fundus aus Erfahrungen und aus der Verwebung afrikanischen Rhythmen, Gitarren-Noise, Punkrock und New Wave.
The world’s sure first all men will agree / before every clock will allign / eat the apples from time.
Gleichzeitig alles andere als altbacken oder sichtlich abgeklärt strotzen The Ex immer noch vor ungehörten Ideen, reflektierter Weisheit über die Synergien und Beziehungen in jeglichen sozialen Gefügen mit pointierten und auch tief-ironischen Statements. The Ex ist nicht zu entkommen: Zu genau treffen sie die leichte Nervosität, die Unruhe und gleichzeitig die Gemütlichkeit, in der sich die Menschen dieser Tage eingefunden haben und multiplizieren das Ganze erstmal mit rohen Riffs, brachialen Drums und dermaßen genialen Lyrics, dass das eigene Bewusstsein erst mal überfahren vor den Lautsprechern hängt um sich durch genau jene Soundflächen wieder aufzurichten und zum Kern des wunden Punk(t)s zu gelangen.
„Soon All Cities“ zeigt mit den Drumsticks und der eindringlichen Stimme Arnold de Boers auf die fortschreitende Gentrifizierung und die so gelobte Effizienz. „Soon our cities will have the same accidents, soon our cities will have the same monuments“ kreiert bildlich in wenigen Worten den Einheitsbrei, der entsteht, wenn kein Unterschied mehr zu bestehen hat, zwischen Individualitäten und Sinnhaftigkeiten. Hauptsache schnell und billig, könnte man vermuten und dreht beim Intro gleich nochmal lauter.
This car is my guest / don’t take out the carpet.
„This Car is my Guest“ nimmt Freejazz und Funk mit in die Formation und hämmert sich wie ein Mantra leicht dadaistisch mit den Sticks in die Kuhglocke. The Ex erzählt von Autounfällen, die auf anderen metaphorischen Bewusstseinsebene die kleinen menschlichen Straucheleien adressieren, denen Menschen zeitlebens nicht entkommen: empatisch und immer mit leicht fragenden Noten. „New Blank Document“ noised sich zischend und dampfend 7 Minuten lang durch das Unterholz, ein Spaziergang mit gerupften Gitarrensaiten und Versen in Robotertrance bis sich das Chaos in „Silent Waste“ fast naturgemäß ordnet.
„27 Passports“ referiert nicht nur zur konstatierten Momentaufnahme als Status Quo der Band: Viele Länder, viele Wege, vielen Menschen, viele Geschichten tränken die Historie von The Ex. Was sie dazu legitimiert, als Geschichtenerzähler zu fungieren, ohne zu beschönigen oder zu adaptieren. „27 Passports“ ist auch die Utopie der Freiheit, der Möglichkeiten und der Geisteshaltung, die damit einher gehen würde. Wie ein Reisepass früher auf die Befüllung durch die Stempel aller Herren Länder wartete, sind auch die Songs auf „27 Passports“ wie Seiten, die sich erst mit den Interpretationen und Assoziationen dem Hörer erklären und zeigen.
Sich mit kluger Anarchie, Trance, Noise und New Wave die Welt erklären lassen: Von Nichtteilnehmern des Systems, einer autonomen Einheit, die macht, was sie will. Die die orthopädischen Schuhe und die sperrigen Rahmen der musikalischen Ghettoisierung ignorieren.
Das ist Punk im besten Alter.
„27 Passports“ von The Ex ist am 22. März 2018 bei Ex Records erschienen.
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