Open Mind Festival: Freiheit stirbt mit Sicherheit – 18. November – 20 Uhr
Diskussion in Kooperation mit der Radiofabrik Salzburg u.a. mit Martin Balluch, Armin Medosch, Michael Vasold. Moderation: Alf Altendorf. (Donnerstag, 18. November 2010, 20:00 Uhr ARGEkultur-Studio)
Open Mind Festival „HIDE OR SEEK. Mut zur Freiheit. Mut zur Flucht.
Welch ein künstlich Netz ist doch das Gesetz: Kleines ist gefangen, Großes durchgegangen.“ (Friedrich Freiherr von Logau, 17. Jh.)
Es gab in Österreich noch kein einziges Selbstmordattentat, der letzte der wenigen Terroranschläge hierzulande fand 1985, 16 Jahre vor 9/11 statt, und über 25 Jahre später hat es die amtierende Regierung jetzt plötzlich besonders eilig, den soeben zum ersten Mal zur Anwendung gekommenen Paragrafen 278 StGB durch die Terrorismus präventionsgesetznovelle zu erweitern.
Paragraf 278 StGB und Folgebestimmungen stellen kriminelle Vereinigungen (§ 278), kriminelle Organisationen wie die Mafia (§ 278a) sowie terroristische Vereinigungen (§ 278b) und deren Handlungen (§ 278c und d) unter Strafe. Sie sollen nunmehr um die Paragrafen 278 e und f (Ausbildung für und Anleitung zum Terrorismus) ergänzt werden.
Sollten Sie hierzulande ehrenamtlich bei einer NGO tätig sein, an Greenpeace spenden überweisen, gerade Ihrer Arbeit als JournalistIn nachgehen oder ein verschlüsseltes E-Mail-Programm verwenden, kann Ihnen diese geplante Novellierung zum Verhängnis werden.
Die Anleitung zur Begehung einer terroristischen Straftat (Par. 278f StGB) besagt nämlich, dass sich schuldig macht, wer „ein Medienwerk“ anbietet, „das nach seinem Inhalt geeignet ist, als Anleitung zu einer terroristischen Straftat ( …) zu dienen“. Hier drohen bis zu zwei Jahre Haft. Wer sich derartige Informationen in der Absicht beschafft, eine terroristische Straftat zu begehen, dem drohen ebenfalls zwei Jahre Haft.
Paragraf 278e soll künftig regeln, das die Teilnahme an „Terrorcamps“ mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden, die Ausbildner mit bis zu zehn Jahren.
Wer nichts zu verbergen hat, der hat nichts zu befürchten.
Die Paragrafen 278 und Folgebestimmungen sind ein Verbrechen an unserer Zukunft“, so Wolfgang Pekny, Obmann des NGO-Dachverbandes Initiative Minderheiten.
Damit könnten nach unliebsamen NGOs nun erstmals auch kritische Journalisten in die Schusslinie von §278 geraten, der sich eigentlich gegen Terroristen, Geldfälscher oder Menschenhändler richten sollte. Hauptkritik wird schon jetzt am bestehenden Paragrafen an den ungenauen Formulierungen angebracht, wie Verfassungsrechtsexperte Univ. Prof. Dr. Funk erläutert: „Für Delikte dieser Art ist ein besonders hohes Maß an legistischer Genauigkeit zu fordern. §278 ist in wesentlichen Punkten zu weit und zu unbestimmt formuliert. Diese Ungenauigkeit wird im aktuellen Terrorismus präventionsgesetz fortgeführt.“
Funk kritisiert die „diffuse“ gesetzliche Definition der Mitgliedschaft in derartigen Gruppen bei gleichzeitiger Erweiterung polizeilicher Zugriffsmöglichkeit. Dadurch droht Unbeteiligten Verfolgung.
Auch Gerhard Benn-Ibler, Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags schlägt mit seiner Kritik in diese Kerbe: „Die Politik verwendet zunehmend terroristische Akte, um Sicherheitsfragen in ihrem Sinne zu klären. [ …] Jeder Bürger muss sich darüber klar sein, dass jedes Plus an Sicherheit mit einer Eingrenzung seiner persönlichen Freiheit einhergehen muss.“ (Salzburger Nachrichten, 18.9.2010)
Zieht man das aktuelle Verfahren gegen die 13 Tierschützer in Wien als Beispiel heran, die nach dem „Mafia-Paragraf“ 278a (sic!) angeklagt sind, darf befürchtet werden, das in Zukunft die Teilnahme an einer Demonstration zu einer legalen mehrjährigen Haftstrafe führen kann, vielleicht bald angeglichen an das türkische Antiterrorgesetz, das auch vor Verurteilungen und Prügel bei Minderjährigen nicht halt macht.
„Eigentlich läuft alles ganz prima, aber trotzdem brauchen wir mehr Überwachung.“ (Angela Merkel)
Ist der „Gesetzgeber zum Terrorist“ (Heribert Prantl) mutiert? Kann statt der Unschulds- die Verdächtigungsvermutung gelten? Warum wird Datenschutz nicht als Menschenrecht begriffen, sondern Telefonüberwachung, Rasterfahndung, Lauschangriff, Videoüberwachung, Vorratsdatenspeicherung, Online-Fahndung, etc. als nationalstaatliche wie EU-Judikative allgemein toleriert? Schreiben wir schon das Jahr „1984“?
Wie kann man in Zukunft noch „zivilen Ungehorsam“ oder andere demokratische Grundrechte ausüben, und wie bedroht sind die Meinungs- und Medienfreiheit tatsächlich? Was sind die „Netzwerke“, die seitens der Politik als neue Staatsfeinde Nr. 1 hochstilisiert werden und welche Rolle spielt das Werkzeug des Bösen, das Internet. Wer profitiert von der staatlich verordneten Angstpolitik? Und wie nackt, informationstechnisch gesehn sind wir bereits ohne den Einsatz von Nacktscannern?
Teilnehmer der Diskussion
Martin Balluch
Obmann des Vereins Gegen Tierfabriken (VGT), einer der 13 angeklagten Aktivisten im Tierschutzprozess.
Balluch war an den Universitäten Wien, Heidelberg und Cambridge 12 Jahre lang als Universitätsassistent und Forscher tätig und veröffentlichte 18 wissenschaftliche Publikationen. Von 2000 bis 2005 studierte er an der Universität Wien Philosophie und schloss sein Studium mit einer Dissertation über Tierrechtsphilosophie ab, die auch in Buchform erschien. Im Jahr 1989 begann er eine kontinuierliche Kampagnentätigkeit für Tierschutz und Tierrechte in England, die er nach seiner Rückkehr 1997 in Österreich fortsetzte. Seit 2002 ist Martin Balluch Obmann des Vereins Gegen Tierfabriken.
www.martinballuch.com
www.vgt.at
Armin Medosch
Autor, Medienkünstler und Kurator mit Wohnsitz in Wien und London.
Von 1996 bis 2002 Gründungsredakteur des Online-Magazins Telepolis; erhielt für seine Arbeit den europäischen Preis für investigativen Online-Journalismus und den Grimme Online Award; Herausgeber von „Netzpiraten“ (2001), gemeinsam mit Janko Röttgers, und Autor von „Freie Netze“ (2004). Nach 2002 Lehrtätigkeit (Ravensbourne College, London), künstlerische und kuratorische Tätigkeit, u.a. Ausstellung Waves (Riga 2006, Dortmund 2008), kuratorische Wanderausstellung Kingdom-of-Piracy <KOP> und die Konferenzen „Goodbye Privacy“, Themen-Konferenz, Ars Electronica, Linz 2007, sowie „Creative Cities“, Ö1-Konferenz, 2009 Wien. Derzeit Forschung zum Thema der Geschichte der Medienkunst im Rahmen eines PhDs im Fachbereich Kunst und Computer, Goldsmiths, London.
www.thenextlayer.org
Michael Vasold
Vorstandsmitglied von Attac Österreich und Mitorganisator der jährlichen AktionsAkademie, Aktivist bei Global2000, der Critical Mass und der Bike-Kitchen Wien. In integrativen Projekten und freiraumsuchenden Initiativen, zeitweise auf der Straßentheaterbühne zuhause. Ein Wirtschaftsflüchtling aus der Steiermark lebt und denkt in Wien, wie Globalisierung gestaltet werden kann – oder muss.
www.attac.at
Alf Altendorf
ist u.a. ehemaliger Produzent des Piratenradio Wiens, Freischaffender Medienkünstler, Gesellschafter & Geschäftsführer von TIV (heute GOTV), seit 2008 Geschäftsführer Radiofabrik Salzburg.
www.radiofabrik.at
Related Links
- http://www.argekultur.at/openmindfestival
- http://tierschutzprozess.at/
- http://derstandard.at/3265402
- http://www.quintessenz.at/
- http://www.demokratie-retten.at/
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