Perlentaucher Nachtfahrt: Out of the Light into the Dark
Freitag, 9. Oktober 2020 ab 22:06 Uhr:
“Dekadenz ist ästhetischer Widerstand um den Untergang zu ertragen.” Dieser schöne Satz stammt aus einem dokumentarischen Zweiteiler, der zur Zeit in der ARTE-Mediathek wütet. Darin kommt die Ambivalenz von Dekadenz (im allgemeinen Verständnis) elegant zum Ausdruck: Einerseits die Suche nach Schönheit (speziell im Verfallen) sowie die Lust am Ergründen des Abgrunds, andrerseits die moralische Empörung über den drohenden Untergang sowie der kreative Widerstand gegen dessen Verursacher. Rückblickend haben wir uns ja schon des öfteren mit derlei “tiefgründigen Themen” beschäftigt, was läge also näher, als zwischen Herbstbeginn und Zeitumstellung der “Düsterkeit des Zwielichts” zu obliegen. Es wird finster – ist das nicht auch schön?
Vom Herrn Hölzel vulgo Falco, dem internationalen Erfolgsösterreicher mit dem tragischen Abgang, gibt es den Song “Out of the Dark into the Light”, dessen Hoffnungskonzept angesichts der uns bevorstehenden Untergänge doch etwas abgegriffen wirkt. Auferstehung Reloaded und Phoenix im Kontext des Abgangs des Abendlands… So ging ich auf die Suche nach dessen Umkehrung und fand nach geraumer Odyssee tatsächlich ein Musikstück namens “Out of the Light into the Dark”, komponiert von Michiel de Groot für das Online-Game-Universum von “The Elder Scrolls”. Und so ward der Inspiration für einen zur dämmrigen Jahreszeit passenden Sendungstitel füglich Genüge getan. Lasset uns schwelgen in der Schönheit des untergehenden Lebens! Zu keiner Zeit ist das Licht intensiver als im Herbst, wo es doch von Tag zu Tag weniger wird. Zu keiner Zeit dringt das Leben stärker ins Bewusstsein als im Angesicht des Todes. Da ist auf einmal alles nichtig und lächerlich, so wie Thomas Bernhard das beschrieben hat, und zwar wirklich alles, was uns zuvor noch wichtig, übermächtig und unentrinnbar erschienen ist. Mein Herz schlägt mich innerlich tot
Ein kraftvolles Kunstwerk zum Thema Licht und Finsternis, hier von Helmut Xö nachbearbeitet. Versucht einmal, den Schriftzug unter der Schwarzbeere (ja, da ist einer) zu entziffern. Wo hört Licht auf? Wo fängt Schwarz an? Dark Colours sind eben auch Farben – oder doch nicht? Das Spiel mit dem Dunkeltum löst dessen schwer zu bestimmende Grenzen scheinbar auf und befördert uns dadurch in die Dimension, die es nicht gibt – oder eben doch. Mein Leben ist ein tägliches Duell mit dem Gegenteil. Und es steht nach wie vor unentschieden. Der Herr Hase radelte heut sprichwörtlich durch die Vorstadt im Fön und nahm dabei einen sehr speziellen Geruch wahr, den er nicht benennen konnte. Irgendwie süßlich jedenfalls, und da fiel mir “es riecht nach Rattenchor” ein. Das legendäre Motiv von Georg Trakl, zu dem wir vor fünf Jahren ein ganzes Artarium gestaltet haben! Dieser Dichter der Dekadenz des Fin de Siècle ist wie kein anderer berufen, auch düsterer Stimmung glühende Sprache zu verleihen.
Das “im Zwischen leben” und sich nicht für irgend eine der zwei oder mehr Seiten zu entscheiden, das “zwischen den Stühlen sitzen”, sitzen bleiben und die Spannung der Ambivalenz aushalten, das ist auch eine Möglichkeitsform, egal was uns die Schwarzweißmaler ins Schachterl scheißen. Ich entziehe mich der vorgesetzten Zweiheit des Entwederoder und erweitere sie hiermit ins Entoderweder oder ins Goisern’sche Entwederundoder. Multiple Choice is no choice at all – ist Multiple Scheiß! Niemand muss sich “fürs Leben entscheiden”, um zur Welt zu kommen. Es ist eine sexuell übertragbare Tröpcheninfektion, die ausnahmslos tödlich verläuft. Und zugleich ist darin immer auch die Anfrage an einen selbst enthalten, es anzunehmen, es zu bejahen, damit einverstanden zu sein. Zelebrieren wir die Schönheit des fast unmerklichen Übergangs, des gleichzeitigen Vorhandenseins von Leben und Tod, des Ineinanderfließens von Vergangenheit und Zukunft, in der Gegenwart, die keine Zeit ist – und also auch nicht dauert. Flüchtige Anwesenheit inbetween! Die “Besitzer”der erfundenen Dauerhaftigkeit seien dahingehend gewarnt: Nobody lives forever
Sendungen zum Nachhören
Museum der Träume (Perlentaucher CLXIX)
“We believe dreaming is one of the most important means through which we can envision and transform the collective world that lies between us.” Dieses Zitat von der unbedingt empfehlenswerten Seite “Museum Of Dreams” möge uns als Motto für unser eigenes “Museum” dienen – denn…
Jenseits von Schatten (Perlentaucher CLXVIII)
Die Schatten werden länger. Sagt man so – und passt auch in die Jahreszeit. Das hat – in unserer Außenwelt – mit dem Stand der Sonne zu tun. Wie verhält sich das hingegen mit den anderen möglichen Bedeutungen der Begrifflichkeit? Den Schattenanteilen der eigenen Persönlichkeit,…
Whatever, Anyway (Perlentaucher CLXVII)
Zwei von uns beiden besonders gern benutzte Symbolwörter. Immer dann, wenn der Redefluss ans Unendliche aussagbarer Möglichkeiten gelangt und es daher notwendig wird, dass der Gesprächspartner selbst weiterdenkt und spontan-assoziativ in die schier unerschöpfliche Welt der Wortbilder “hineingreift”, um das “hervorzuformulieren”, was immer schon im…
Zeit und Lebenszeit (Perlentaucher CLXVI)
Hast du Zeit? Anhand dieser einfachen Frage, die noch dazu in unendlichen Variationen durch unser Leben geistert, wollen wir die Beziehung des Menschen zur Zeit hinterfragen. An dem Punkt tauchen auch schon die ersten Abzweigungen im Gedankengang auf, nämlich “zur Zeit überhaupt” oder “zur eigenen…
In Between Days (Perlentaucher CLXV)
Das Dazwischen fasziniert und beschäftigt uns eigentlich schon immer, von der Zwischeninsel Poesie über das Inzwischen Unterwegs bis zu unserer Betrachtung Zwischen Leben und Überleben. Was läge also näher in diesen dazwischenen Tagen – in der Mitte des Sommers, der Ferien und der Festspielsaison –…
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