Perlentaucher Nachtfahrt: 1001 Nachtfahrt
Freitag, 11. Dezember 2020 ab 22:06 Uhr:
Kriegsweihnacht, Coronaweihnacht, Weltuntergangsweihnacht – oder wie es einst Roger Waters auf den springenden Punkt brachte: “Each small Candle lights a Corner of the Dark.” Norbert K.Hund & Christopher Schmall feiern 10 Jahre gemeinsames Sendungsmachen in Gestalt einer Collage aus Text, Musik und Assoziationen. Wie etwa jener zu 1001 (in Worten tausendundeiner) Nacht. Geschichten, die angesichts der täglichen Todesdrohung immer wieder aufs Neue weiter gesponnen werden – bis ins unendlich Schöpferische. “Mein Reich ist nicht von dieser Welt.” Denn nichts von all dem, aus dem unsere gewohnten Ordnungen bestehen, wird unser Weiterleben sichern. Das kann nur das bislang Unverwirklichte – etwas aus unserer Phantasie.
Etwas, das nicht nach Macht über andere Menschen strebt. Macht in Form von Herrschaft über die Welt. Herrschaft IST Gewalt und deshalb ist Gewaltherrschaft sowieso schon ein Pleonasmus. Wir phantasieren Regie statt Regierung und wollen auch Gewinn anders als allgemein üblich begreifen. Ein Kind ist uns geboren – aber das sind wir selbst! Gibt es überhaupt ein Christentum – oder ist “jesusinspiriert” der viel treffendere Ausdruck? Wir sind hochschwanger auf Herbergsuche und werden mit dem Gewaltsprech der Gastronomen ins ewige Abseits vertrieben. Kann man ohne Beseitigung des weltweit herrschenden Unrechts Gewalt aus der Sprache heraus reformieren – und was für einen Sinn hätte das eigentlich? Das klingelnde Plemplem des missionarischen Marketings – wer hats erfunden? Edward Bernays oder Paulus oder doch viel früher die hohepriesterliche PR-Abteilung von König Großprotz dem Grausligen? Es ist alles so dermaßen OASCH ringsumher auf dem Globus, dass man oberhaupt nicht so viel fressen kann wie man scheißen möchte. Lokuspokus, Bäh!
Da kommt uns nichts gelegener als die legendäre Trilogie “Deutsche Krieger” von Andreas Ammer und FM Einheit, die wir ab ca. 23:20 Uhr vollständig zu Gehör bringen, quasi als Collage innerhalb der Collage. Die 1001 Originalaufnahmen und Geräusche, die hier nebst eigenen Musikstücken zu einem ungeheuer vielschichtigen Hörerlebnistheater verdichtet, verknüpft und verwoben sind (das übrigens auch livehaftig aufgeführt wird), erzeugen in ihrer Gesamtkomposition eine beachtliche zeit- und mediengeschichtliche Erfahrung, deren eigentliche Aussagen (wie zumeist in der Tonkunst) zwischen den Zeilen und hinter den Klängen stecken, von wo aus sie sich zusammen mit dem tatsächlich Wahrgenommenen in den Köpfen des Publikums zu sich selbst als etwas Lebendigem zusammenfinden. Wer sich für die Gründe und Hintergründe dieser Produktion interessiert, möge sich hier im Hotel Discipline näher einlesen (ein ganz hervorragender Artikel). Darüber hinaus passt das experimentelle Gewaltwerk auch ausgezeichnet in den Kontext unserer eigenen Collagen-Arbeiten.
Womit können wir dann im dritten Akt unserer Advents-Andacht den erwünschten heiter-besinnlichen Ausklang erzeugen? Vielleicht mit einer dritten Steigerungsstufe der Dichtheit, der Collage aus Texten, Musik und weiteren Collagen, die alle zusammen zur Feierstunde gemeinsamer Kreativität werden. Das zwischen den Zeilen, neben den Klängen, unter den Collagen und vor allem hinter den Kulissen immer schon Daseiende, Lebendige, Schöpferische, das allüberraschende kreative Vakuum, das alles noch zu Gestaltende in uns herbeilockt und dem Erschaffen die Fanfare läutet, dass einem ganz anders wird und schwindlig und warm ums Herz. Das eine Fünkchen Hoffnung, aus dem jederzeit ein Traumtanz der Leidenschaft entstehen kann, der noch das allerverfaulteste Gehtnimmermehr in einem einzigen Augenblick lebender Gegenwart verwandelnd verzehrt. Ach, Sprach! Ach, Hasen! Sie sind frisch, sie sind zappelig – und …
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Sendungen zum Nachhören
Maibam Oida (Perlentaucher CL)
Wir vorverlegen uns diesmal um eine Woche, weil die Radiofabrik zum Internationalen Tag der Pflege am 12. Mai 2023 eine “Lange Nacht der Pflege” der Pflegestützpunkt-Redaktion von Radio Helsinki übernimmt/ausstrahlt. Da stellen wir keinen Bam auf – das werden wir auf jeden Fall unterstützen. Abgesehen…
Far more in common (Perlentaucher CXLIX)
“We have far more in common than that which divides us.” (Zitat von Jo Cox) Ich kann mir ja auch nie sicher sein, ob man rinks und lechts wirklich so schwel velwechsern kann – und ob das da auf dem Bild noch ein Baum ist…
Literatur oder Selbsthilfegruppe (Perlentaucher CXLVIII)
Bevor wir diesmal in unsere Bilderwelt aus Musik und Literatur eintauchen, wollen wir auf die Herkunft ihres heutigen Titels verweisen: Vor 15 Jahren war der Verleger Jochen Jung in der Sendung “Gierig auf Lyrik” zu Gast und äußerte dort, dass er mitunter den Eindruck von…
Kommando Pimperle (Perlentaucher CXLVII)
Inbetween, inbetweener, inbetweenst. Zwischen Wintersonnenwende und Weiberfastnacht steigern wir uns mit gepflegtem Weltuntergangshumor in ein erlösendes Lachen. “Mein Über-Ich hat Übergwicht” – eine interessante Beschreibung der depressiven Schräglagen des Seins – und ein Fall für unsere paradoxe Intervention aus Musik, Lyrik und angewandter Weltsatire. Was…
Rolle seitwärts (Perlentaucher CXLVI)
Es geht wieder aufwärts. Die Nacht der Nächte ist vorüber. Welche das jetzt genau ist? Geh, bitte! Auf jeden Fall tauchen wir wieder auf und stellen zufrieden fest, dass der Sender noch funktioniert. Mitunter ist es ausgesprochen hilfreich, eine Rolle seitwärts zu vollführen, um dem…
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