Porridge Radio – „Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me“
Eine Band, die 2022 mit dem Song „Back to the Radio“ Geschichte schrieb, darf im 100. Jahres des Radios natürlich nicht fehlen.
Dass es auch noch Porridge Radio ist, die mit „Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me“ ein wunderbar furioses Album vorlegen, vereint alles zur absoluten Schönheit. Diese ganz besondere Mischung aus Indie, Rock, Postrock und feinsinniger Destruktion ist für das Stopfen der Löcher in den Herzen und den Seelen.
Hörenswert. Das RF-Album der Woche ist zu hören am Freitag, 18.10.24 ab 14:06 Uhr, Wiederholung am Donnerstag, 31.10.24 ab 00:00 Uhr
I memorise your face, but I can’t remember
„Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me“ klingt wie die Zeitlupenzündung eines Feuerwerks, Funken flimmern durch diffuse Dunkelheit, explodieren in schrägen Farben und brennen sich in die Seele. Die Kapitänin der Supernova Porridge Radio, Dana Margolin, navigiert fast mantrahaft durch aufgewühlte Gefühle, Herzschmerz und Burnouts und balanciert dabei auf einem glühenden Seil, das die letzte Verbindung zwischen Verzagtheit und Überwinden, wankend aber mit einem Lächeln im Gesicht. Melancholisch wild und verheerend gehen Porrigde Radio nahe wie nie. Fast hat man den Eindruck, die Stimme könnte jeden Moment brechen, nur um Sekunden später von der Wucht niedergerissen zu werden.
Das Debüt der 2014 in Brighton gegründeten Porridge Radio, „Rice, Pasta and Other Fillers“ (2016) war ein erster wilder Wurf, kantig, roh und direkt, wie ein leerer Teller nach einem bissl chaotischen Abendessen. 2020 katapultierte „Every Bad“ Porridge Radio schließlich fast aus dem Nichts auf die Shortlist des Mercury Prize, The Guardian nannte es ‚kompromisslos brillant‘. Und 2022 gelang mit „Waterslide, Diving Board, Ladder to the Sky“ der erste Top-40-Erfolg in den britischen Albumcharts. Margolin, die eigentlich an der University of Sussex Anthropologie studierte, stolperte eher zufällig in die Musik – ihre ersten Songs brachte sie allein auf lokale Open-Mic-Bühnen. Mit dem Zusammenkommen der richtigen Leute passierte es dann, wie das halt so ist: Georgie Stott an den Keyboards und Backing Vocals, Schlagzeuger Sam Yardley, der zwischendurch auch mal die Keyboards anschmeichelt und Maddie Ryall am Bass, die bis 2023 dabei war, bevor Dan Hutchins übernahm.
Then I have the urge to jump off the balcony
‚Fast alle Songs begannen als Gedichte‘, sagt Margolin über „Clouds In The Sky …“ und die Notizzettel schlafloser Geister fliegen noch umher: die Zeilen sind getränkt von Wut und Verzweiflung und von der aufbäumenden Energie, sich davon nicht geschlagen zu geben. Romance is still alive! Auch wenn sie ein paar kleine Narben mehr hat. Gemeinsam mit der Wut geht sie auf eine ziemlich schöne Achterbahnfahrt aus Katharsis und Zerstreuung. Margolins Stimme ist das zitternde Herz, das sich durch jeden Looping kämpft.
Die Songs Seziermesser für das eigene Herz, „Clouds In The Sky …“ ist dabei der weiche Mantel um die Klinge, damit sie nicht zu tief ins Fleisch dringt. All die Verzweiflung, die Furiosität und fast schmerzvolle Ergriffenheit geht auf in flächigen Postrock-Sounds, steigt hoch auf den Geigenbögen und wiegt sich mit den Bläsern wieder fast wehmütig zurück. Die Geschichten sind Reflexionen auf eine Zeit, in der angesichts von Tour, Knobeln über Identität und einer Workaholic-Familie, Arbeit und Erschöpfung keine Zeit für sich selbst blieb. Bei Porridge Radio bedeutet dies eine kompromissloses Reindreschen in das, was weh tut. Zuerst ein geduldiges Aufbauen der Schäden und Verletzungen, der Belastungen und ungesunden Verhaltensweisen, nur um die dann mit voller Rücksichtslosigkeit in den Abgrund zu stürzen.
Die Aufnahmesessions in Somerset passen zum Bild: Ein Haus auf einem Hügel, ein Fluss, der durch die Landschaft mäandert, und überall strömendes, blendend helles Tageslicht – eine Szenerie wie aus einem magischen Roman. In diesem Paradies aus Licht flackerten die inneren Kämpfe, es gab Zusammenbrüche, Momente der Überforderung. ‚Nach einigen Takes brach ich einfach auf dem Boden zusammen‘, lacht Margolin. Dom Monks (u.a Big Thief) schaffte es, diese emotionale Wildheit in eine Form zu gießen, ohne sie zu zähmen.
I’ve been a fool for always forgetting / But I would do anything to see it again
Gleich zu Beginn löst sich der schmerzende Knoten in der Brust in „Anybody“ mit Sakasmus und Overview-Effekt langsam auf (‚And I am not somebody in between, I am everyone and everything And I will run until I can reach you, and I will run until I can leave you’), „Lavender, Rasberries“ baut sich langsam zu wütender Hysterie auf, angesichts der wachsenden Stärke, die wie Benzin durch die Venen rauscht. „God Of Everything Else“ entblößt dann gleich wieder direkt alles und beschreibt eine Trennung, die einen nur wünschen lässt, jemand anders zu sein. Verzweiflung durchzieht das ganze Album wie ein roter Faden, der sich um deine Gedanken wickelt und nicht mehr loslässt. Die elektronisch angehauchte Mitte des Albums, „You Will Come Home“ ist das Auge des Sturms, ein Ort des emotionalen Fegefeuers, an dem Dana sich nach sichereren Tagen sehnt. „Clouds In The Sky …“ schwankt metronomisch zwischen ganz oben und ganz unten, bis es sich in „Sick of the Blues“ schließlich für den Moment in der Mitte einfindet und sagt, fuck this all, ‚ I’m sick of the blues, I’m in love with my life again‘.
Hier wird weder Schiffbruch noch Rettung dokumentiert, sondern die Bemühungen, sich über Wasser zu halten; mal verzweifelt und wütend, mal froh und erleichtert darüber, dass man schwimmen kann.
„Clouds In The Sky They Will Always Be There For Me“ von Porridge Radio erscheint am 18. Oktober 2024 bei Secretly Canadian.
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