Hörenswert: Alhousseini Anivolla & Girum Mezmur – „Afropentatonism“
Während sich in der westlichen Welt in den letzten Jahrzehnten eine ungemein spießige und altbackene Spielform des Blues entwickelt hat, die eher Harley fahrende Geschäftsführer anspricht, scheint die afrikanische Variante frei von solcher identitären Problematik zu sein.
Und auch, wenn das Verständnis von Desert-Blues als Europäer sicherlich ein anderes ist, transportieren die beiden Musiker aus dem Niger und Äthiopien mit ihrem reduzierten und akustischen Sound wundervoll-melancholische Emotionen zu uns. Ein wundervoll unaufgeregtes Album mit ungemein viel Ausdruck.
Hörenswert. Das RF-Album der Woche ist zu hören am Freitag, 24.07.20 ab 14:08 Uhr, Wiederholung am Donnerstag, 30.07.20 ab 00:00 Uhr.
Nur selten mag wohl die Schnittmenge von afrikanischer und westlicher Musik so groß zu sein, wie bei dem westlichen Blues und dem Desert-Blues. Zeugen tut davon schon die große Fangemeinde, von Bluesmusikern aus aller Welt, die diese völlig eigenständige Spielart besitzt. Nicht wenige davon pilgern sogar zu Festivals, um die originäre Art des Gitarrenspiels zu studieren. Ebenso wie die westliche Variante arbeitet der Desert-Blues mit Reduktion, um Spannung aufzubauen. Und auch hier sind es offensichtlich Geschichten, die mit der Musik ein Vehikel bekommen, um adäquat erzählt zu werden.
Als Europäer fällt der Einstieg in dieses gitarrenlastige und SingerSong-ähnliche Musikkonzept nicht sonderlich schwer. Sogar, wenn einem nicht jeder Klangerzeuger bekannt ist, stellt sich doch sehr schnell ein vertrautes Gefühl ein, das aus der blueslastigen Art des Gitarrenspiels hervorgehen mag. Und diese originäre Art des Gitarrenspiels betreibt die äthiopische Ethio-Jazz-Legende Mezmur einfach meisterlich. Egal ob es sich um feingliedrige, rhythmisch raffinierte Begleitstrukturen, oder um solistisch virtuose Ausflüge handelt: Mezmurs Spiel bringt immer einen hohen Grad an Gänsehaut-Faktor mit sich. Orchestriert mit zwei Gitarren, Bass, Percussion einer Kniegeige und Stimme lassen Anivolla und Mezmur, die im Rahmen eines Festivals 2005 zusammen fanden, der Musik unglaublich viel Platz und genügend Zeit, um sich zu entfalten. Diese Gelassenheit ist schlicht beeindruckend und unterscheidet sich enorm von westlichen Konzepten, die ja überwiegend ins dreieinhalb Minuten Radioformat gepresst werden. Das wirkt nicht nur enorm entspannend, sondern zeugt auch von dem Mangel an Gelassenheit in unserer Gesellschaft, die stets von Getriebenheit geprägt ist. Nicht nur das. Daraus entfaltet sich auch ein enorm hypnotischer Sog mit tranceartiger Wirkung. Ganz subtil und ohne harte Schnitte bringt uns so die Musik in einen Zustand voller Muße und sehnsüchtiger Melancholie.
‚simple isn’t easy‘
Allein der Albumtitel zeugt schon von der panafrikanischen Ausrichtung, die hier gewählt wurde. Zwischen Niger und Äthiopien liegen über 5000 Kilometer! Passend zu diesem Konzept wurde das Album in Nairobi aufgenommen. Zudem handelt es sich bei der pentatonischen Skala um eine der ältesten in der Menschheitsgeschichte. Eben auf dieser Pentatonik ist dieses Album aufgebaut. Fünf Noten, auf die auch die westliche Variante des Blues grundlegend aufgebaut ist. Mehr braucht es einfach nicht. Doch: ‚simple isn’t easy‘.
Natürlich war klar, dass Tinariwen, Afel Bocoum oder Ali Farka Toure diese Musik nicht allein erfunden haben, und das sich hinter diesen hier bekannten Künstlern viel mehr großartige und unentdeckte Musik verbirgt. „Afropentatonism“ ist ein fantastisch unaufgeregtes Album, das spielend die Muße anlockt und uns wenigstens einen kleinen Einblick in diese faszinierende Musikkultur gewährt.
„Afropentatonism“ ist am 3. Juli 2020 auf Piranha erschienen.
Lass' uns einen Kommentar da