Hörenswert: Baba Zula – „XX“
Bereits seit zwanzig Jahren entwerfen Baba Zula spielerisch immer neu klingende Visionen von zeitgenössischer Trance-Musik auf Basis der unglaublich reichen türkischen Musikkultur.
Die zweite CD des Jubiläum-Doppelalbums beinhaltet 15 haarsträubende Dub-Remixes, die allesamt einfach nur als sensationell zu bezeichnen sind. Der türkische Staat scheint das anders zu sehen und verhinderte kurzerhand die Veröffentlichung dieses grandiosen Albums.
Hörenswert. Das RF-Album der Woche ist zu hören am Freitag, 20.01.17 ab 14:08 Uhr, Wiederholung am Donnerstag, 26.01.17 ab 00:00 Uhr.
Das übernahm in Folge das deutsche Label Glitterbeat und entwarf sogleich auch die Idee eines Doppelalbums, wobei auf der ersten CD die besten Stücke der letzten 20 Jahre zusammengesucht wurden. Krautrock, Psychedelic, Rock und Trance verschmelzen hier mit der türkischen Musikkultur zu einem brodelnd betörenden Sound, der einen unglaublichen Sog erzeugt und die Macht besitzt, in einen aus dem Alltag herausgehobenen Zustand zu versetzten. Als Vehikel zwischen den Jahrhunderten scheint für Baba Zula die elektrische Saz zu fungieren, die extrem rockig und psychedelisch zum Klingen gebracht und mit diversen Effekten versehen werden kann.
Doch auch für Kenner der Musik von Baba Zula öffnet sich auf der zweiten CD ein neues, haarsträubendes Universum voll von Hallfahnen, Klang- und Soundkollagen, futuristischen Theremin-Sounds und tiefen Dub-Bässen. Was die Freunde Baba Zulas hier aus den Originalspuren gezaubert haben ist einfach sensationell und findet so sicher nicht Seinesgleichen. Zu seinen Freunden darf Baba Zula solche Größen wie den aus Guyana stammenden Meister des modernen Dub Mad Professor, Dirtmusic, Arastaman oder Dr. Das von der Asian Dub Foundation zählen. Diesen bezaubernden, geheimnisvollen und psychedelischen Sound haben ohne Zweifel absolute Meister der zeitgenössischen Trance-Musik kreiert. Da die Basis aus den Originalspuren von Baba Zula besteht, ergibt sich trotz aller Unterschiede in den Remixes ein fast als spirituell zu bezeichnendes Ganzes, das wahrscheinlich gerade dadurch auf mehreren Ebenen funktioniert.
Es ist nicht so, dass Baba Zula besonders regimekritische oder gar staatsfeindliche Texte schreiben würden. Doch wer die Musik der Formation hört, sich womöglich noch ein Foto anschaut, dem wird klar, dass hier Freigeister am Werk sind, die sich jeglichem Diktum verweigern. Sicherlich spielte das anzügliche Cover, das eine nur mit Ekektrosaz ‚bekleidete‘, bunt eingefärbte Frau abbildet eine wesentliche Rolle, warum das Album nicht in der Türkei erscheinen durfte. Es scheint, als ob in jeglichem Schaffen auch das Ausloten der Zensur in der Türkei momentan allgegenwärtig wäre.
„In Ankara dürfen in den nächsten Monaten keine Protest-Veranstaltungen stattfinden, keine Versammlungen und keine Konzerte – und das Gleiche kann auch in Istanbul schnell passieren. Außerdem stehen 80 Prozent unserer Songs auf dem Index der staatlichen Medien. Auch im Privatradio gibt es schwarze Listen, welche Bands gespielt werden dürfen und welche nicht – und da sind wir leider immer ganz vorne mit dabei. Trotzdem geht es uns nicht so schlecht wie anderen Bands. Die Politrocker von Grup Yourum beispielsweise. Bei denen sitzen bereits viele Mitglieder im Gefängnis und die Anderen werden immer wieder von der Polizei schikaniert. Beamte durchsuchen den Probenraum der Band und nehmen Fingerabdrücke an den Instrumenten, um zu sehen, wer dort gespielt hat, oder machen sie gleich ganz kaputt. Also im Vergleich dazu haben wir es regelrecht einfach.“ Murat Ertel, Baba Zula (Quelle: Deutschlandradio Kultur. 9.2.2017)
Auf jeden Fall sind Baba Zula, aus welchem Grund auch immer, zu heiß für Erdogan. An dieser Stelle ist es bisher das beste RF-Album der Woche in dem noch jungen Jahr.
Das Album ist am 27. Januar 2017 auf Glitterbeat Records erschienen.
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