Hörenswert: Brezel Göring – Psychoanalyse (Volume 2)
Wie kiffen unter Tränen.
Diese Beschreibung passt so gut wie absurd und traurig auf die berührenden Dada-Psych-Pop-Songs von Brezel Göring auf „Psychoanalyse (Volume 2)“, seinem ersten Soloalbum nach dem Tod von Françoise Cactus. Mit ihr ist auch das fremdartig Marswesen Stereo Total verschwunden, an seiner Stelle stehen nun die schönsten Songs, wie man sie auf Deutsch nur formulieren kann. Ein Abschied mit Trauer, Schönheit und sanftem Wahn.
Hörenswert. RF-Album der Woche ist zu hören am Freitag, 1.7.22 ab 14:06 Uhr, Wiederholung am Donnerstag, 7.7.22 ab 00:00 Uhr
Du siehst bedrückt aus, dabei bist du nur verrückt.
Eigentlich geht es um die Liebe, die nur aussieht wie Drogen, wie Sucht und Wahnsinn. Es heißt natürlich immer, dass Musik stets Therapie ist, das Leben ein Fluss, die Zeit heilt alle Wunden und Musik ja sowieso. „Psychoanalyse (Volume 2)“ zeigt den ganzen Floskeln, was das wirklich heißt. Schnörkellos und schmerzlich ehrlich vermisst der Berliner Musiker, Komponist und Stereo Total-Hälfte Brezel Göring seine Arbeits-, Liebes- und Lebenspartnerin Françoise Cactus, die vergangenes Jahr an Krebs starb. Eine Platte, bei der man schon stark sein muss, innerlich. Sie bedrückt und macht traurig, ist melancholisch, philosophisch, manchmal lustig und immer in die Ferne schweifend, weg vom eigenen Denken, ein bisschen wie sich selbst von außen betrachtet.
Das ist nun aber ein Gefühl, das die Menschen ungern haben wollen. Schließlich ist gute Laune sozial höher stehend als Traurigkeit. Es ist das Herzzerreißende der Dinge, das Brezel Göring ein Album lang beschreibt. Aber – das Mitleid bleibt aus, stattdessen verfällt man selbst nach und nach in Eigentherapie: in einsame Selbstreflexion, in eine Art Trance mitten im Leben und schließlich in einen endgültigen Abschied von Stereo Total. Dass sich die beiden Zeit ihrer künstlerischen gemeinsamen Zeit selbst nicht ernst nahmen, hilft tatsächlich beim Zuhören. Frei von Pathos, so muss man erst mal trauern können.
Dicht und ergreifend
Psychoanalyse (Volume 2) ist „Sanfter Wahn“, von der ersten Zeile an: „Schade, dass du weg bist. Ich hätte dir gerne noch öfter zugehört. Die Straßen sind immer noch dieselben, aber der Rest ist ziemlich ramponiert.“ Ein letztes Mal die Stimme von Françoise Cactus im Titelsong hören, mit Brezel Göring aufrichtig, lustig, manchmal ironisch und vielleicht auch ein bisschen zynisch Zeit verbringen und währenddessen ein paar Steine auf das ruhige Wasser vor sich werfen. Das Album wurde meist nachts aufgenommen, schnell, meist im First Take, weil dazwischen das Leben passierte.
Brezel Göring hat nach dem Tod von Françoise Cactus sein kleines Auto mit Lieblingsinstrumenten beladen und brach zu einem über 1700 Kilometer langen Road Trip nach Südfrankreich auf. Dort hat er ein wenig Ruhe gefunden und Mut und Wehmut in Musik gebettet. Psychoanalyse Volume 1, das waren die richtig heftigen Songs, sagt er. Auf Volume 2 kommt trotzdem auch alles zur Sprache, was normalerweise weggedrängt wird. Die Drogen, die Perversion, die Trauer und die Realität über den eigenen Zustand, die allgegenwärtige Vermissung des eigenen Alles-Menschen, die offenen Fragen an den Sinn des Ganzen.
Zehn intime Pretiosen, die von den Höhen und Tiefen des Alltags berichten, so herzzerreißend und so spröde wie das Leben selbst.
„Psychoanalyse“ von Brezel Göring ist am 3. Juni 2022 bei Stereo Total Records / Flirt 99 erschienen.
Lass' uns einen Kommentar da