Hörenswert: Ian Fisher – „Go Gentle“

Ian Fisher ist schon so ein bisschen europäische Sehnsucht in Persona, wenn es um unsere nostalgische Sehnsucht nach dem Wilden Westen und den Lagerfeuersongs geht.
Aber auch, wenn es um das Herzzerreißende der Dinge geht, erzählt von einem Wanderer, den zu treffen ein wahres Erlebnis ist. Auf „Go Gentle“ verlangsamt er seine Schritte auf das Essenzielle, verlässlich getragen von Indie-Folk, Pedal-Steel-Gitarre und den Geschichten des Lebens.
Hörenswert. Das RF-Album der Woche ist zu hören am Freitag, 24.1.2025 ab 14:06 Uhr, Wiederholung am Donnerstag, 6.2.25 ab 00:00 Uhr.
Still driving through the country – and we don’t know where to go
Ian Fishers biografischer Hintergrund zieht sich wie ein roter Faden durch seine Musik. Geboren in Florida und aufgewachsen auf einer Farm in Missouri wusste er schon früh, dass er der US-Provinz so schnell wie möglich entkommen muss. 15 Jahre, 2.000 Songs und über 1.000 Konzerte später hat sich sein Stil zu einer einzigartigen Mischung aus orchestralem Americana, inspirierenden Indie-Folk und Pop verfeinert, die mal an Jeff Tweedy erinnert, mal an Townes Van Zandt, emotional komplex und zurecht verwirrend.
Dieser wandernde Poet, der durch Europa zieht, ist inzwischen zu einer Art musikalischem Nomaden geworden, der die amerikanischen Provinz mit der Vielfalt seiner europäischen Erfahrungen verwebt. „halb Americana und halb Abbey-Road-würdigen Pop“, sagt dazu Rolling Stone. Mal in Salzburg, Wien, Berlin, in Toronto, Frankfurt oder auf der Farm seiner Familie ist Ian Fisher ein ewig Reisender, einer, in dessen Biografie kein Stillstand vorgesehen ist.
Countrysänger ohne Country
(grammo.at)
Immer hat seine Musik etwas wehmütig-Optimistisches, etwas nostalgisch-Aufbrechendes, melancholisch-Freudiges: Ob als Frontman beim unglaublich großartigen Nowhere Train, im Duo mit Ryan Carpenter oder mit seiner Salzburgband u.a. mit Camillo Jenny, Emanuel Krimplstätter, Danny Rico und Lukas Pamminger (u.a. von Peanut Butter Jelly, Steaming Satellites und DRiP). Immer möchte man vor Schönheit weinen, sich in die Traurigkeit reinlegen und genießen, immer ist da dieser seltsame Widerspruch der Gefühle, der eigentlich keiner ist.
Es ist immer das Leben, von dem Ian Fisher berichtet, was natürlich bei den Europäer*innen immer noch die Lagerfeuerromantik und Lucky Luke Abenteuer in den Augen glänzen lässt, Fishers Stimme bricht ein bis ins Mark und ist voller herzerschütternder Tiefe, wie sie nur ein weitgereister Mensch begreifen kann.

Diesmal geht es um das Leben. Und den Tod.
Bei „Go Gentle“ ist das diesmal auch so und doch anders. Diesmal geht es nicht um die Höhen und Tiefen des Unterwegs-Seins, diesmal geht es um das Leben. Und den Tod. Eine kathartische Auseinandersetzung mit dem Tod seiner Mutter, die 2023 nach 26 Jahren Kampf gegen den Krebs verstarb.
Es sind die mutigen Schritte in die dunkelsten Ecken der Trauer und des Verlusts. Und ein Fishereskes hoffnungsvolles Plädoyer für das Leben in seiner ganzen Fülle, gemeinsam mit seiner Band Jonas David (Keys & Percussion), Johanna Seitinger (Background-Gesang & Bass) und Richard Case (Pedal-Steel-Gitarre).
Es sind harte Erkenntnisse, die „Go Gentle“ zu einem so bewegenden Album machen: Kein Wegweiser der Trauer sondern das Erzählen der beiden Geschichten, die Fisher am besten kennt, seine eigene und die seiner Mutter. Und so gibt „The Face of Losing“ gleich den Ton vor, Fishers Stimme, die diesen besonderen, samtig-rauen Kern hat, ist sofort tief in den Unwägbarkeiten auf der dunklen Reise durch Trauer, mit den großen schmerzenden Wunden: „Nobody can tell me how to feel / I know what is real for me.“
Man fühlt sich auch an an The National erinnert, die Brüder im Geiste wenn es darum geht, dass das Leben nachher ja dennoch weitergeht. „Mother Please Forgive Me“ ist die intime Ballade über Fishers Schuldgefühle als Sohn – aus Angst, sich mit der Krankheit seiner Mutter auseinanderzusetzen, zieht er an das andere Ende der Welt.
Ashes in a vile a picture where we smile
Quer übers Land des Lebens, mit Pedal-Steel-Gitarre, sanften Keyboard-Klängen und Backgroundgesang, mit den Herzstücken aus Fishers Federn und Saiten, Überschwänglich und groß und gleichzeitig minimalistisch und atmosphärisch gemeinsam mit Jonas David produziert. Eine Spannweite von einem Pol zum andern, von Wunder zu Katastrophe, von Depression zu Erlösung. Trost kommt mit Akzeptanz und Zartheit in „Tigress“, „so lay your stripes in grass/ your eyes are shadow cast / I hold you but can’t hold back / the weight upon us“.
Fishers Album ist ein Dokument und musikalisches Tagebuch, das keine Antworten hat, eigentlich nur Fragen, die wohl auch niemand zu Lebzeiten beantworten kann und das ist auch nicht schlimm. Jede Frage offenbart Gefühle und öffnet die Wunden nur temporär nochmal zum Reinigen, bevor sie endlich richtig verheilen können.
Das funktioniert zum Beispiel bestens im Perspektivenwechsel: „Take You With Me“ ist der Ansicht, dass der Tod kein Ende sondern nur Veränderung ist: „Instead of them being gone forever, I view it as a change in the way they exist,“ sagt Fisher. „They become a part of us and we travel with them.“
„Go Gentle“ von Ian Fisher erscheint am 7. Februar 2025 bei s/r.
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