Hörsturz #2: Anders hören
Ich bin der Moritz und liebe die Radiofabrik, weil da kann ich mich selber hören.“Dieses Kindermund- Testimonial läuft als Jingle im Programm und trifft den Nagel auf den Kopf: Sich selber über das Medium wahrnehmen und darstellen, Medieninhalte kreativ und selbstbestimmt gestalten, die eigene Lieblingsmusik als DJ spielen. Das motiviert knapp 300 Menschen, die auf der Radiofabrik ihr eigenes Programm machen. So debütierte der jüngste Radiomacher Felix Auinger mit seiner ersten Radioshow im Alter von 11 Jahren. Ohne fremde Hilfe hat er im Studio moderiert, die Technik gemanaged und Musik aufgelegt. Dave Hubble war 70, als er mit seiner Jazzplattensammlung im Gepäck zum ersten Mal auf Sendung ging.
Medienkompetenzen spielend erlernen
Wenn Kinder bei einem Schnupperradioworkshop zum ersten Mal ihrer eigenen Stimme über Mikro und Kopfhörer lauschen, finden sie das lustig. Es beeindruckt und überrascht sie bei Weitem nicht so wie manche Erwachsene, die sich ihrer Stimme seit Jahrzehnten nicht bewusst und im ersten Moment irritiert sind. Aber an die eigene Stimme gewöhnt man sich rasch. Und die technische Seite ist schnell gelernt. Auch Inhalt kann einfach transportiert werden: Wenn er kreativ, authentisch und glaubhaft ist. Neben dem Spaß und dem Entdecken eigener Fähigkeiten in der Radioproduktion schleicht sich die Medienkompetenz praktisch über die Hintertüre ins Bewusstsein. Wer selbst einmal eine Sendung durchgeplant und umgesetzt hat, wer ein Interview oder eine Umfrage aufgenommen und im Schnitt von Versprechern befreit und auf die wesentliche Essenz reduziert hat, wird künftig anders hinhören und -schauen, wenn er Medien konsumiert. Wer Radio macht, weiß um die Verantwortung von journalistischem Schaffen und um Manipulationsmöglichkeiten. Was bleibt, ist ein verändertes, im Idealfall kritischeres Bewusstsein und eine sensibilisierte Wahrnehmung.
Publizieren ist kein Privileg von Eliten!
„Du drückst den ON-Knopf, um den Mikrokanal zu aktivieren. Und dann schiebt man den Lautstärkeregler, den Fader, auf 0db. Das gilt für jeden Kanal, den Du on Air bringen willst. Das war’s auch schon, das ist das Geheimnis.“ So beginnt die Einschulung in die Mischpulttechnik beim Basisworkshop. Jährlich rüstet die Radiofabrik rund 60 Menschen aus den verschiedensten Lebensbereichen, von jung bis reif, mit dem Wissen über Medien- und Urheberrecht, Sendungsgestaltung und Studiotechnik aus. Sie können danach selbstständig Livesendungen fahren. Als perfekter Radiomacher geht natürlich niemand nach Hause, denn Radiomachen ist learning by doing. Wer nach dem Basisworkshop mehr wissen möchte, kann aus einer Reihe von Add-On- Workshops auswählen, von Audioschnitt über Moderation bis zu Stimmtraining oder Crossmediapublishing. Alle Radio-Workshops kosten zwischen 20 und 45 Euro. Das gibt es nur bei Freien Radios, weil die Niederschwelligkeit oberste Priorität hat. Jede und jeder soll sich den Einstieg ins Senden und die Radioweiterbildungen leisten können. Freie Radios sind lokale Kommunikationsstätten, in denen Know-how weitergeben und trainiert wird. Sie stellen in ihrer täglichen Arbeit klar: Publizieren ist kein Privileg von Eliten.
Vielfalt on Air
Zu sagen hätten viele etwas. Aber in der Regel werden sie nicht gehört, weil klassische Massenmedien in der Hand weniger sind. „Mediokratie“ nennt der Politik- und Medienwissenschaftler Thomas Mayer die Vorherrschaft der boulevardesken Medienlogik, in der sich die Herrschenden selbstgefällig darstellen, während der Rest der Gesellschaft nicht vorkommt. Dem Großteil der KonsumentInnen fällt das gar nicht mehr auf, so abgelenkt sind sie von „Dschungelcamp“ und Co. So klar ist die Rollenverteilung von wenigen, konzentrierten Medienverlagen und dem passiven Publikum. Nur wenige Medien kommen ihrer demokratiepolitischen Aufgabe nach, als vierte Gewalt im Staat Öffentlichkeit herzustellen. Politische Vereinnahmung und Kommerzialisierung der Medien sind etwas Alltägliches, das gesellschaftlich akzeptiert und hingenommen wird. Eine Sackgasse. Während Radio noch immer das Medium ist, das die meisten Menschen technisch erreicht, werden Meinungen und Themen ganzer Bevölkerungsgruppen überhaupt nicht wiedergespiegelt. Jugendliche, SeniorInnen, Kinder, fremdsprachige oder Special- Interest-Gruppen sind, wenn überhaupt, passiver Gegenstand der Berichterstattung, aber nie handelnde MedienakteurInnen. Sie fallen ja auch nicht in die – angeblich – so kaufkräftige Zielgruppe der 14 bis 49jährigen. Aber es läuft nicht überall so. Ferhad Haidari und Saeid Ahmadi haben erst vor kurzer Zeit ihr neues Zuhause in Salzburg gefunden und mit ihrer Sendung „Freundschaftsbaum“ auch eine Plattform auf der Radiofabrik. Sie berichten auf Persisch und Dari, den beiden offiziell gültigen Schriftsprachen, und auf Deutsch von ihrem Afghanistan: traditionelle und Live-Musik, Kulinarik und Bräuche, aber auch Kritisches und Philosophisches zu Kultur und Gesellschaft. Wo hört man so etwas über Afghanistan?
Seit 1998 realisieren inzwischen 14 Freie Radios in Österreich als Spiegel der Gesellschaft diese, ihre Idee von lokaler Öffentlichkeit. Freie Radios übernehmen dabei auch die Aufgabe, über Mediensysteme und -Produktion aufzuklären. Zum Beispiel, wenn das Radio auf dem Lehrplan in der Schule steht.
Radio macht Schule
Im Akademischen Gymnasium Salzburg gibt es seit 2009 im Rahmen der Modularen Oberstufe das Fach „Medienkunde – Radiomachen“. 12 Schülerinnen und Schüler lernen jedes Semester das journalistische und technische Handwerkszeug, mit dem sie ihre akustische Schülerzeitung produzieren. Ganz nach ihren Wünschen und Vorstellungen, mit Aufgabenbereichen und Verantwortlichkeiten wie in einer richtigen Redaktion. Sie dürfen on Air bringen, was ihnen unter den Nägeln brennt und sich darstellen, wie es ihnen gefällt. Die Volksschule St. Andrä und die Neue Mittelschule Lehen haben ebenfalls einen fixen Sendeplatz für ihr Schulradio. Auch für viele Salzburger Jugendzentren ist Radiomachen Bestandteil ihrer sozialpädagogischen Arbeit. Gerade Teens erleben Radiomachen als bestärkend: Ich kann mich artikulieren und meine Musik spielen. Ich bestimme mit, was im Radio läuft und andere hören, was ich zu sagen habe. Das erfahren rund 450 Jugendliche jedes Jahr in Schul- oder Jugendradio-Workshops. Feedbacks wie „die Sendung ist sooo cool! 🙂 wirklich! die beste Radiosendung, die ich je gehört habe ! :)“ zeugen vom Erfolg. Radio ist gerade für Jugendliche ideal, weil es für Musik steht – ein zentrales Peergroup-Thema und identifikationsstiftendes Ausdrucksmittel.
Dave Hubble, der älteste Radiomacher auf der Radiofabrik, hat als Jugendlicher Radiohören noch als genüssliches, familiäres Beisammensein am Abend erlebt. Über die Familie ist er auch zur Radiofabrik gekommen. Tochter Caroline war bereits wöchentlich on Air und hat ihm damals vorgeschlagen, eine Sendung zu starten. „Bist du verrückt, das kann ich nicht, das habe ich noch nie gemacht!“ war Daves logische Reaktion. Es hat ihn doch gelockt, er hat es gelernt und ist geblieben. (vom Mirjam Winter)
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