Er ist wieder da! Der kleine Tod, mit dem Andreas Vitàsek schon immer ein hochgradig ambivalentes Zwiegespräch pflegt. So abgründig liebevoll und schaurig vertraut wie vermutlich eh meistens im sonderlichen Sein des Homo Säugetier. Die vereinfachte Darstellung des Todes als bloßer Gegenpol zum Leben (was schon auch zutrifft) erhellt eben nur einen Aspekt des vielfältig Möglichen zwischen Frühlingsfest und Abschiedsleid. Vom “dünnen Firnis der Kultur, der uns von der Barbarei trennt” sprach der legendäre Jurist Fritz Bauer. Wie fest wäre hingegen der Firnis einer Kultur, die sich aus dem gleichzeitigen Vorhandensein widerstrebender Gegensätze speist? Einer Kultur des Sowohl-als-Auch, der wir diesmal im Strom der Gezeiten eine Insel stiften werden.
Vor genau 10 Jahren haben wir mit “Frühlings Erwachen” der Zwiefalt von Leben und Tod eine Sendung gewidmet. Deshalb haben uns auch diese Szenenfotos der Schauburg in München trefflich inspiriert. Aber diesmal interessieren wir uns mehr für das, was entstehen kann, wenn die gegeneinander wirkenden Pole Lebenslust und Todessehnsucht eine Zeit lang und im selben Raum vorhanden sein und sich auswirken dürfen – ohne dass Entscheidungen getroffen werden müssen. Somit sollen Musik, Texte und Themen vorkommen, die entweder Frühling, Sonnenlicht, Liebe oder Angst, Trübsal, Untergang darstellen. Natürlich dazwischen auch solche, die bereits im Sowohl-als-Auch daheim sind – und von dort aus Fragen aufwerfen: Was ist Gegenwart (einmal abgesehen von Vergangenheit und Zukunft) anderes als Anwesenheit? Müsste sie dann nicht bei manchen Philosophen und Sprachwissenschaftern Abwesenheit heißen? Von wegen Geistesgegenwart …
“Den Leibern, die hier umgehen, ist jeder Geist Gespenst.” So Uwe Dickin der Vorrede seiner szenischen Lesung “Der Öd”. Ja fürwahr, es scheint uns das “Hordiotentum” einer “perfekt blöd gemachten Rasse” dergestalt zu umbrodeln, dass Homo gewiss nicht sapiens heißen kann, bestenfalls Brotteig, Knetmatsch oder Massenblubb. Da ist es wieder, dieses Zwischendem Glauben an die Menschheit und dem Verzweifeln an den Verhältnissen. Die Unsicht der Gestaltigen im Umgang mit der Welt wird eines Endes unser Untergangsein. Kein schönes Erwachsen! Kein Frühlingsfest der gemischten Gefühle für Anfängys und Fortgelaufene. “Und jedem Anfang wohnt ein Ende inne”, um es mit den Worten des Dichters weiter zu denken. “Mein Herz schlägt mich innerlich tot.” Und zwar schon seit vor meiner Geburt. “Liebe An- und Verwesende …”, das ist das Ende der Legende vom “ewigen” Wachstum im Hier und Jetzt. Schon ein Trost!
Leben und Endlichkeit sind die zwei Seiten derselben Medaille, untrennbar ineinander verknüpft. Warum nicht beides annehmen – und feiern, wie der Frühling fällt. Dazu bedarf es keines Auflaufs in der Außenwelt. Dazu bedarf es keiner Zusammenrottung und keines öffentlichen Almauftriebs. Der eigenen Endlichkeit endlich einmal so richtig zu obliegen, sie sich bewusst werden zu lassen, ihr Raum im Leben zu gewähren, ihr zu huldigen, weil sie die längst vorhandene zweite Hälfte des eigenen Selbst ist, das würde uns viel deppertes Festbatzen an unserem Traum vom perfekten Glückskeks ersparen! Das letzte Wort soll nun eine Französin (Roxanne aus Apocalypse Now) haben: “Er wütete und er weinte, mein verlorener Soldat. Und ich sagte zu ihm: In dir wohnen zwei Seelen, weißt du das? Eine, die tötet – und eine, die liebt. Und er sagte zu mir: Ich weiß nicht, ob ich ein Tier bin oder Gott. – Aber ihr seid beides …“
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