Perlentaucher Nachtfahrt: ein schuss jandl
Freitag, 11. August 2017 ab 22:00 Uhr:
Wie jetzt? Ist denn nicht “einschussjandl” die schönere Einwortpoesie? Auch “ein schussjandl” oder “einschuss jandl” sind genauso vorstellbar wie berechtigt. Sprachermächtigt! Schon offenbart sich, gleichsam “in a nutshell”, der Wortkosmos des Dichtmeisters Ernst Jandl nebst einiger seiner durchaus erwünschten Wirkungen. Zu den anderen, unerwünschten, fragen sie sich selbst oder hauen sie sich mit dem Fliegenklescher fest auf den Kopf. Wenns denn hilft. Wir jedenfalls erproben seinen Sinngehalt an uns selbst, indem wir den normierten Nutzsprech, der uns alltäglich umwuchert, diesen im wahrsten Sinn unsäglichen Unsinn der fortwährenden Weltverdeppung, durch Zerlegung neutralisieren und so auch mit dem Experimentellen experimentieren.
“Den Sinn und die Sprache ließ Jandl zerschellen in den Abgründen der Welt, und dass er damit zu einem der größten Popkünstler der Literatur wurde, ist eines ihrer schönsten Mirakel.” So formuliert der unseres Wissens nicht verwandte Paul Jandl in der “Welt” zum Erscheinen der 6-bändigen Werkausgabe 2016. Und erzählt uns eine der schönsten Ernst-Jandl-Anekdoten überhaupt:
“Als ich Ernst Jandl in den Achtzigerjahren zum ersten Mal angerufen habe, war das Gespräch kurz. Erst hat es lange geläutet, dann meldete sich drohend seine Stimme: “Jandl?” – “Hier ebenfalls Jandl”. Aufgelegt. Man hätte es ahnen können. Die Achtzigerjahre waren die Zeit, in der der Dichter so berühmt war, dass man sich mit ihm am Telefon gelegentlich einen Scherz erlaubte. Die Scherze konnten derb sein, wenn ein lyrisches Wiener Herz der Meinung war, dass die Poesie mit dem Avantgardisten des “sprachenschmutzen” auf den sprichwörtlichen Hund gekommen ist, oder sie waren auf kleinmütige Weise originell. Es gab tatsächlich Leute, die sich mit “Ottos Mops” meldeten oder nur fragten: “Bist eulen?”
ottos mops trotzt
otto: fort mops fort
ottos mops hopst fort
otto: soso
otto holt koks
otto holt obst
otto horcht
otto: mops mops
otto hofft
ottos mops klopft
otto: komm mops komm
ottos mops kommt
ottos mops kotzt
otto: ogottogott
Nun haben wir ja nicht nur so einen riesen Haufen eigener Arbeiten mit, über und rund um den Ernst in unserem Radiogepäck, speziell die Sendungen experlimental oder Atom Heart Mona Lisa, dazu noch allerhand andere Anstiftereien im Artarium. Nein, niemals nicht! Wir ham noch lange nicht genuuuuug. Der Salzburger Jung & Jung Verlag (für den mittlerweile auch Paul Jandl lektoriert) hat uns nämlich zu dieser Sprachexpedition freundlicherweise mit dem Band “der beschriftete sessel” ausgerüstet, den wir zur eingangs erwähnten Zerlegung heranziehen wollen. Dort findet sich etwa “Zwischen Hulst und Hummel” (Ein Auszug):
“Die zwischen HÜM und humlich, Hulst und Hummel klaffende Wörterbuchlücke (hu- hum- humá- human- humaní-) lässt mich an eine Reihe von Texten denken, zu verschiedenen Zeiten in verschiedener Technik geschrieben, die ein Entsetzen über die Peinigung der Menschen durch den Menschen zum Ausgangspunkt haben. Sie gesellschaftskritische Texte zu nennen, scheint möglich, lässt aber außer acht, dass ein gewisses Maß an Gesellschaftskritik bereits überall dort konstatierbar sein könnte, wo die Sprache von Texten aus dem normativen Geleise gekippt ist. Es gibt Leute, die in jeder Abweichung von der Norm, in welch kleinem Teilbereich immer sie sich ereignet, eine Bedrohung jeglicher Norm erblicken, womit sie nicht völlig unrecht haben mögen. Größere Liberalität, für manche ein Dorn, ist nur durch den Abbau von Normen, Verbindlichkeiten erreichbar. An sie, die Verteidiger jeglicher Norm, ist zweifellos auch gedacht, wenn mit den Mitteln der Kunst die Vorstellung von Normalität vorsätzlich und lustvoll gestört wird.”
Es könnte Ernst Jandls Motto sein: “Alles mit allem möglichst dicht zu verbinden…”
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