Hörsturz #6: Zwischen Verschiedenem
Du drehst das Radio auf und plötzlich hörst du lautes Lachen. Oder Heavy Metal. Sphärenklänge. Zwei zornige Frauen. Musik aus Afrika. Verschwörungstheorien. Die BBC-Nachrichten. Eine Band aus Salzburg. Hip-Hop. Kabarett. Psychologie. Ein Gedicht. Das Album der Woche. Kindergeschichten. Albanisch. Dreckigen Punk. Talkshow. Filmsound. Jazz. Stadtteilradio. Veranstaltungshinweise. Kunst. Freaks. Jugendliche. Veteranen. Irgendeinen Spinner. Deine Lieblingsmusik. Erinnerungen. Seltsam. Unerwartet. Vertraut.
Das kennen wir doch eigentlich alle. Sobald wir jenseits der Programmvorschau auf der Radiofabrik landen, wirds auch schon existenzialistisch. Hineingeworfen ins jeweils grad Geschehende, werden wir mit einem Mal zu Entscheidungsträgern. Doch zwischen „Boah, das taugt mir aber!“ und „Naah, was ist das für ein Schas?“ lauert noch eine ganz andere Verlockung: „Sowas hab ich ja noch nie gehört. Was ist das überhaupt?“ Und schon interessieren wir uns eine Zeit lang für etwas, das wir nicht kennen – und das uns sonst wahrscheinlich auch nicht so leicht untergekommen wäre.
Wozu soll das aber gut sein – in Zeiten wie diesen, wo doch fast alles immer noch wiedererkennbarer und zielgruppenorientierter durchgestylet wird? Was wäre der evolutionsbiologische Vorteil eines dergestalt heterogen aufgestellten Lokalradios? Eines Gemeinwesensenders, der grundsätzlich jedermannfrau Stimme und Sendezeit zur Verfügung stellt, speziell jedoch jenen Personengruppen, die ob ihrer marktstrategischen Vernachlässigbarkeit sonst in der Allgemeinmedienwelt gar nicht mehr vorkommen? Wie könnte man den Wert dieser „Vielfalt von Verschiedenem“ zu fassen versuchen?
Als ich gefragt wurde, ob ich diesen Artikel schreiben will, da erkundigte ich mich in meinem Bekanntenkreis nach ensprechenden Hörerlebnissen mit der Radiofabrik. Und dabei erfuhr ich Erstaunliches, das mich darin bestärkte, ein Plädoyer für die Freiheit des Unterschieds zu halten. Es wurde mir nämlich berichtet, dass gerade die überraschenden Übergänge von einem Sendungsthema zum anderen ein Gefühl von Wärme und Vertrautheit erzeugen. Oder dass die wechselnden Gestaltungsformen von einer Stunde zur nächsten weit weniger irritieren als erfreuen. Ja, sogar harte Wechsel in der Produktionsqualität zwischen einzelnen Beiträgen wurden kaum jemals als Beleidigung empfunden, sondern vielmehr als Bestätigung dafür, dass lebendige Menschen (wie du und ich) hier anwesend und am Werk sind.
Ist das nicht ganz schön paradox? Ja, durchaus! Und was darin auch zum Ausdruck kommt, das ist das weithin zunehmende Unbehagen mit dem Unpersönlichen. Brauchen wir denn in unserer Nachbarschaft noch mehr anonyme Einkaufszentren und Systemgastronomien? Fehlen uns denn noch mehr vollautomatisierte VerkäuferInnen und ferngesteuerte KellnerInnendarsteller? Sehnen wir uns denn nach immer noch austauschbarerer Behupfdudelung durch grinspsychologisch zurechtgeschminkte Gutelaunemechatroniker? Nein, derlei überschwemmt uns ohnehin tagtäglich von allen Seiten bis zum Erbrechen – beim Einkaufen, beim Fortgehen, beim Leutetreffen. Was uns allerdings wirklich abgeht, das sind echte Begegnungen mit MenschInnen aus Fleisch und Gefühl. Mit dem Trafikanten, der uns etwas erzählt. Mit der Kellnerin, die sich an uns erinnert. Auch mit den Unbekannten, die uns unvermutet mögen! Und mit einem Radio, das uns an unsere Umgebung erinnert.
Es hat etwas mit Heimat zu tun, wenn sich Radio so anfühlt. Wenn es danach riecht und schmeckt, worin wir uns (gern oder ungern) vertraut fühlen. Wenn darin der polyglotte Moderator und die studierte Bauerntochter vorkommen, der schräge Künstler und die gestandene Mechanikerin, der Lederhosenjodler, die Operettendiva, der Metalfan, die Gemüsefrau, der Urologe und die Straßenzeitungsverkäuferin. Es hat etwas mit dem Wesen der Stadt zu tun, in der wir alle leben. Und mit ihrer und unserer Wiedererkennbarkeit. Es hat etwas mit Gefühl zu tun. Mit Mitgefühl. Mit Empathie, Sympathie- und Antipathie. Mit dem, wer wir sind – und mit dem, wer wir sein können, wenn wir uns darauf einlassen.
Dieser Germ der Gesellschaft, den wir hier erzeugen (damit unser Sozialteig bei entsprechender Hitze auch ordentlich aufgeht) ist absolut zukunftsweisend. Der Genetiker Markus Hengstschläger etwa warnt explizit vor der „Durchschnittsfalle“ im Bildungssystem. Er meint damit eine allerhand kurzsichtigen Wirtschaftsinteressen geschuldete Konditionierung junger Menschen zu austauschbaren Funktionsdodeln. Sein Fazit: Je weniger variantenreich eine Bevölkerung aufgestellt ist, desto wahrscheinlicher wird sie bei nur geringsten Veränderungen in der Zukunft scheitern.
Die Radiofabrik in ihrer programmatischen Vielfalt wirkt solch gefährlichen Entwicklungen nachhaltig entgegen. Mehr noch, sie dient geradezu als Modell einer gesellschaftlichen Wertschöpfung jenseits von zerbrauchendem Wachstumswahn.
Norbert K.Hund ist Sendungsmacher (artarium & Nachtfahrt) und Mitglied der Programmkommission
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