Hörenswert: Dear Reader – “Rivonia”
Beim Durchhören von „Rivonia“, dem 3. Werk der afrikanischen Musikerin Cherilyn MacNeil aka Dear Reader wird einem bereits bewusst, dass hier eine mutige Künstlerin am Werk ist. Sich der Geschichte des eigenen Landes zu stellen, manchmal beunruhigend, manchmal tief bewegt, ohne Scheu vor mehr Fragen als Antworten. Und daraus ein Gesamtwerk aus magischen, poetischen und epischen Songs zu basteln – moderne oral history mit wohlproportionierte Opulenz.
Hörenswert. Das RF-Album der Woche ist zu hören am Freitag, 19.04.13 ab 14:08 Uhr, Wiederholung am Donnerstag, 25.04.13 ab 00:00 Uhr.
„Ich fange jetzt mal mit meinem neuen Album an. Es wird überwiegend sehr spärlich zugehen. Hauptsächlich meine Stimme, etwas Piano und Schlagzeug… und dann noch etwas mehr von meiner Stimme. That’s it. Und es wird thematisch um Südafrika gehen.“
So kündigte Cherilyn MycNeil ihr neues Album „Rivonia“ an – und genau das ist daraus geworden. Cherilyns Stimme dominiert ab dem ersten Song, aufgetürmt, übereinandergeschoben und kunstvoll arrangiert. Im Vergleich zum Vorgänger, „Idealistic Animals“ von 2010 ist „Rivonia“ hörbar von schwereren Themen geprägt – es ist ein Kozeptalbum, das sich mit minimaler Hilfe von Schlagzeug und Piano dem ehemaligen Apartheit-Staat Afrika annähert – Und die Geschichte vertont und wieder lebendig macht. Schon der Opener „Down Under, Mining“ lässt beinahe die südafrikaischen Stollen vor einem erschienen, in denen die Arbeiter nach Gold graben. ‘Down under mining, fetching the white man’s gold” klingt federleicht angesichts des Gewichts der Vergangenheit.
„Rivonia“ ist aber nicht nur der Versuch, die afrikanische Geschichte aufzuarbeiten, es ist eine Erzählung über sie. Cherilyn, die 2010 von Johannesburg nach Berlin zog, hatte scheinbar immer schon den Hang, federleichte Musik um abgrundtiefe Texte zu schlingen. Auch „Rivonia“ trägt diese Botschaften in sich. Einerseits ist Rivonia der Stadtteil Johannesburgs, in dem Cherilyn aufwuchs, andererseits waren die Rivonia Trials jene Schauprozesse, die dazu führten dass Nelson Mandela für Jahrzehnte auf die Gefängnisinsel Robben Island verbannt wurde, nur weil ein kleiner Junge versehentlich sein Versteck verriet – „They Took Him Away“ erzählt diese Geschichte mit fast typischen afrikanischen Rhythmen und Pauken. „Man Of The Book“ hingegen hat beinahe schon Musical-Charakter und erinnert an Cherilyns Ur-Ur-Ur-Großvater, der mit Mahatma Ghandi in Südafrika zusammenarbeitete.
„Rivonia“ ist durch und durch Dear Reader: Es ist das erste Album, das Cherilyn allein konzipierte, ohne außenstehende Produzenten. Eine Intimität, die anderwärtig wahrscheinlich nicht erreicht werden könnte – passend dazu wurde das neue Werk zuhause im Appartement mit Freunde aufgenommen, unter denen sich bekannte Gesichter wie Martin Wenk, Trompeter von Calexico, Earl Hervin, Drummer der Tindersticks und bei „”Already Are” sogar Konstantin Gropper von Get Well Soon. „Rivonia“ bringt neue Kraft mit sich, jedoch ohne die schweren Zeiten zu vergessen. Und was gibt es schöneres als Musik die Hoffnung gibt, den dunklen Schatten am Horizont aber aufmerksam im Auge behält. „Victory“, der letzte Song des Albums lässt noch einmal fast episch den Kampfwillen aufblitzen: Zwei Fronten die sich gegenüberstehen, jeder im festen Glauben, Gott auf seiner Seite zu haben. „Ask the ancestors, they will gave us the victory“..
Eine Platte, die in Endlosschleifen gehört werden kann und einen nur immer tiefer ins Kaninchenloch mitnimmt. Man trifft Zulu König Shaka, hört von den ersten freien Wahlen nach dem Ende der Apartheit und ist tief in den Minen Afrikas. Dear Reader als Griot, als Geschichtenerzählerin, nicht nur begleitet von der afrikanischen Geschichte, auch von der eigene Geschichte. Und nachdem sie auch schon Musik zu Tom Schillings Film-Debüt „Oh Boy“ beisteuerte, kommt auch die Melancholie auf “Rivonia” nicht zu kurz.
„Rivonia“ von Dear Reader ist am 8. April 2013 bei City Slang erschienen.
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