Hörenswert: Die Faulen Kompromisse – „Wien Spirit“

Wenn man in Wien aufwächst, lernt man früh, dass der Schmäh nicht nur ein Mittel zur Kommunikation ist, sondern eine Lebenseinstellung.
Die Faulen Kompromisse machen den „Wien Spirit“ sogar riechbar: Zwischen Dorfdisko und Roadmovie, zwischen Bregenz und Budapest, zwischen Ottakringer und Pfirsichschnaps.
Hörenswert. Das RF-Album der Woche ist zu hören am Freitag, 16.5.25 ab 14:06 Uhr.
Lass mich schlafen, weck mich nicht nicht deiner Stechuhr
Die Faulen Kompromisse, gegründet irgendwann in einem verrauchten Proberaum in der Brigittenau oder einer durchgerockten Kneipenschicht in Neubau (ich weiß es wirklich nicht!), haben bereits mit ihrem Debütalbum „Ein Lieferwagen voller Mausefallen“ den Beweis geliefert, dass man Wiener Grant, Rockabilly-Genetik und poetisch geschrammelte Halbsätze ziemlich gut unter einen Hut bringt.
Nach dem Nachfolgealben „Feuerholz“ (2017) und „Treibholz“ von 2023 und den post-pandemisch-prä-apokalyptischen Singles „Mutter Naturs Kinder“ und „Nachtbus nach Triest“ war klar: Diese Band macht nicht nur keine Kompromisse, sie ist auch zu faul für falsche Versprechen. Aber sie lieben Umwege, Tempowechsel und vertrackte Soundästhetiken.
Monarchie, Moog und Mars
Und jetzt also „Wien Spirit“, ein Album wie eine Rundfahrt durch ein verschwitztes Europa, das es so nie gegeben hat, aber unbedingt geben sollte – ein Wien, das gleichzeitig Balkan, Bronx, Plattenteller und Provinz ist. Irgendwie Falcoesk, mit Trap-Beats, Austroindie, Rhythm’n’Blues, Funk-Gitarren und den schönsten Metaphern: „Du treibst mi owi wie Treibsand“. Hier verspielt man sich gerne, in Basslinien, die am Hosenbein hängen wie ein Straßenhund in Szeged, mit Moog-Synths, und immer mit dabei: die herrlich schnarrende Stimme des Hacklerberry Pi.

Achtung Bahnsteig 9, Zug fährt ab!
Textlich geht es ums große Ganze (nur die Wurstsemmel is the limit): Um Herkunft, Prägungen, Gerüche, Weltstadtflair durch Gulasch und Grobschnitt. „Gulasch aus Ungarn, Brudis aus Belgrad“ heißt es im Opener und Titeltrack „Smells like Wien Spirit“, und man riecht es fast, den völkerverbindenden Würstelstandgeruch zwischen Oberland und Orient. Dann: „Kein Schlaf bis Bregenz“ – der Provinzrocker unter den Songs. Ein Ausflug in die Landflucht, die Dorfdisco als Endgegner.
Hier riecht’s nach Bier, Bohnensuppe und zu heiß gewaschener Tommy-Hilfiger-Polo. Muss man mögen, aber der Stil bleibt verlässlich: Die Gitarren rütteln an der Fahrertür, der Beat schüttelt den Kopf, aber der Refrain fährt trotzdem weiter.
Weiter unten im „Donaudelta Blues“ wird’s jazzig, irgendwo im Budapest Express bei einer Zigarette, die man auf einem Boot nur zur Hälfte rauchen kann, weil der Wind so weht. Weniger Song, mehr Erzählung, ein phrygischer Tonleitergraben mit eingebautem Sumpf, in dem man kurz versinkt, aber am Ende doch ankommt. Wo? Natürlich in „Sfumato“, einem verrauchten Raum, in dem alles verschwimmt: Klang, Realität, Phrasen. Ein Lied wie ein frisch gezapftes Seidel in einer Bar, die es nicht mehr gibt.
Dazu ziemlich deepe Spoken-Word-Einlagen und 80er-Synths. Großartig! Ganz am Schluss, wenn man denkt, jetzt ist Wien und Welt bereist, betanzt und besungen genug, kommt „Oben Ohne Cocktailbar auf dem Mars“, vermutlich geschrieben von einem besoffenen Wiener mit fragwürdigen nächtlichen Erlebnissen. Eine Synth-Walzer-Parade mit Laser-Becken und Lunar-Romantik. Wiener Schmäh, extrapoliert in die Exosphäre.
Das Bratfett vom Würstelstand, der Suff aus den Bars
Im „Wien Spirit“ wird klar, dass man musikalisch sehr wohl auf mehreren Hochzeiten tanzen und auch auf dem Weg dorthin die Autobahnraststätten besingen kann. 50ies-Rock’n’Roll grüßt Indie-Punk, Trap trifft Beatliteratur und über allem schweben Kreisky-Zitate, retrofuturistischer Underground und ein Schuss Unsicherheit, ob nicht alles eh ziemlich egal ist. Man fährt einfach noch eine Runde, wartet ab und schaut dann weiter. Und dann kommen die Songs, bleiben da sitzen, rauchen eine, und sagen: „Heast, wo samma do eigentlich?“
In Wien. Und überall sonst.
„Wien Spirit“ von Die Faulen Kompromisse ist am 2. Mai 2025 bei Preiser Records erschienen.
Hörbar auf allen Plattformen, riechbar nur vor Ort.
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