Hörenswert: The Mountain Goats – „Songs For Pierre Chuvin“
„Songs For Pierre Chuvin“ von The Mountain Goats ist das Lo-Fi gegen gegen die Aufregung der Zeit und spät-antikes Storytelling zur Lage der Welt.
Vergessen wir für eine Albumlänge die Hyperinformationen und ruhen den Geist auf oldschool Home-Recording und Geschichte mit Fußnoten aus. Und lassen uns mit Indie Folk und John Darnielles sehnsüchtig rostiger Stimme durch die Krise führen.
Hörenswert. RF-Album der Woche ist zu hören am Freitag, 24.04.2020 ab 14:08 Uhr, Wiederholung am Donnerstag, 30.04.20 ab 00:00 Uhr.
Sometimes forget there’s cities down there.
Zu Anfangszeiten 1991 nahm John Darnielle allein mit Akustikgitarre in seinem (wo sonst) Schlafzimmer auf, auf einer treu grindig klingender Panasonic RX-FT500 Boombox. Pre-Corona, Anfang 2020 waren John Darnielle und seine Band Peter Hughes (Bass), Jon Wurster (Drums) und Matt Douglas (kann eigentlich alles) gerade dabei, ein neues Album aufzunehmen. Die Krise, die Quarantäne, die Absage der gesamten Tour und Darnielles Lektüre von „A Chronicle of the Last Pagans“ (1990), vom französischen Historikers Pierre Chuvins, transformierte alle Pläne zu etwas völlig anderem, zu „Songs for Pierre Chuvin“.
Seit „All Hail West Texas“ ist die aktuelle Kassette das erste Album, das Darnielle wieder alleine mit seiner alten Boombox aufnahm. In diesen seltsamen Zeit kommt man gerne zu jenem zurück, welches sich wohl immer schon als die richtige Wahl erwies. Der moderne Scheiß verblendet ja, kann man da jetzt polemisch behaupten.
10 Tage je ein Song, während der täglichen Familien-Pause, die Boombox für die spontanen Momentaufnahmen. Chuvin lesend bis zu dem Moment, wo sich ein Song zwischen den Zeilen findet: „I read until something jumps out at me, play guitar and ad-lib out loud until I get a phrase I like; write the lyrics, get the song together, record immediately.“
Give me back my community.
The Mountain Goats hatten schon immer einen Hang, viel Ahnung von Micro-Gesellschaften, von Individuen und Umständen wie den derzeitigen zu haben: Ob es um die leise Einsamkeit oder Agoraphobie geht („Get Lonely“ 2006), die Wrestling-Szene („Beat the Champ“ 2015), die Verbindung durch gemeinsame Abhängigkeiten („We Shall All Be Healed“ 2004) oder die Wahl der Kleidung („Goths“ 2017).
Im Zeitalter von Corona ist das Subjekt nun der Zustand aller Gesellschaften überall. „Songs For Pierre Chuvin“ ist inspiriert von Chuvins Aufarbeitung der Spätantike, den Geschichten der mythologischen Helden, der Auslöschung fast aller bestehenden (Natur-)Religionen und von den Paganisten – den Ethikern, die dem Erscheinen des Christentums den Verfall des Menschengeschlechts zuschrieben (und das wohl noch immer tun). Die Songs erwecken das Nachdenken nur für den Moment und blicken nie lange zurück. Sie klingen nach alter Welt und fühlen sich an wie ein weiterer Schritt nach vorne.
„I dedicate this tape to everybody who’s waited a long time for the wheels to sound their joyous grind: may they grind us into a safe future where we gather once again in rooms to sing songs about pagan priests & hidden shelters, and where we see each other face to face.“ (John Darielle)
Und jemand, dessen Signature-Song „(Make it throught) This Year“ (auf „The Sunset Tree“ 2006) heißt, hat 2020 prinzipiell Recht.
„Songs for Pierre Chuvin“ von The Mountain Goats ist am 10. April 2020 bei Merge erschienen.
2002 wurde in einer Musikpostille meine Lust geweckt mich mal an dem zu versuchen, was man „Lo-Fi“ nennt. SingerSongwriter kannte ich schon, Alternative und Indie auch, Americana hatte ich durch Ryan Adams kurz zuvor lieben gelernt. Was also ist nun Lo-Fi, wollte ich ergründen. Und besorgte mir Will Oldham und eben die Mountain Goates. „Tallahasse“ hieß das seinerzeit brandneue Album von Darnielle und bis heute vergesse ich nie den Moment, in dem ich zum ersten Mal „No Children“ hörte, bis heute ein All-Time-Favorite: was ein Konzeptalbum über den aufkeimenden Hass unter Eheleuten. Aufgenommen wurde das Album im Übrigen in Cassadaga, was der Titel eines tollen weiteren Lo-FI-Albums ist, von Conor oberst. Aber egal: seitdem achte ich mit Argusaugen, ob nicht mal was Neues kommt von Herrn Darnielle. Und wie wir wissen gibt es da viel zu tun für meine Argusäuglein.
Das Plättlein hier hat mich vor 4 Tagen überrascht, „gezogen“ habe ich es mir bereits, kam aber noch nicht zum Horchen.
Danke für den Beitrag, freut die stolze Lo-Fi-Seele.
Viele Grüße, David
P.S: nein, so richtig kapiert wann Lo-Fi Americana ist und wann Americana einfach nur Singer/Songwriter habe ich nicht. Ich glaube aber darum geht es bei den Genre-Schubladen auch: Verwirrung stifen, Diskussions- und Empörungspotential schaffen.