Hörsturz #2: Recherche mit Realität
Thomas Oberender kurz vor Ablauf seiner letzten Saison als Schauspieldirektor der Salzburger Festspiele über Entdeckungen im Hörfunk. Interview: Norbert K. Hund
Radiofabrik: Sie haben sich wiederholt öffentlich als Radiofabrik-Hörer geoutet. Warum ist die Radiofabrik für Thomas Oberender „gut zu hören“?
Thomas Oberender: Egoistisch gesagt, weil es da die beste Musik gibt. Selten Mainstream, immer aufregend anders, innovativ, ungewöhnlich. Nicht nur westeuropäische Musik, man hört in alle möglichen Welten hinein. Dazwischen Bands aus Salzburg, von denen man sonst nichts wissen würde, die aber gut sind. Und es ist wirklich demokratisches Radio, die Vielfalt an verschiedensten Sendungen und Themen ermöglicht eine ganz andere Auseinandersetzung mit Heimat – als dem Ort, an dem ich lebe.“
Radiofabrik: Wie beurteilt der international erfahrene Kulturmanager den Wert der Radiofabrik für die Gesellschaft in Stadt und Land?
Thomas Oberender: Der Sender hat eine Ausstrahlung, die weit über das Stadtgebiet hinausgeht. Es wäre wichtig, den Hochmut der Etablierten im Blick auf dieses Unternehmen abzulegen, denn hier passiert das Wesentliche, hier werden Entdeckungen angeboten, hier wird Recherche mit Realität betrieben, hier holt man wirklich Stimmen von der Straße.
Auch die Mehrsprachigkeit des Programms steht Salzburg gut an. Jedenfalls ein hoch professionelles Unternehmen, das ein für kreative Menschen lebenswertes geistiges Klima prägt. Die Verantwortung, die sich aus dem Besitz eines solchen Mediums für die Allgemeinheit ergibt, muss von der Politik ergriffen und die Radiofabrik daher mehr gefördert werden.
Radiofabrik: Leidet der scheidende Schauspielchef nach fünf Jahren im Getriebe der Macht an einem „Salzburg-Syndrom“, vergleichbar mit dem Stockholm Syndrom, mit dem das Phänomen bezeichnet wird, dass sich Geiseln nach einer gewissen Zeit mit den Anliegen ihrer Entführer identifizieren?
Thomas Oberender: Oder dem Jerusalem- Syndrom? (lacht) Nein, ich werde nicht zum Attentäter oder Amokläufer. Mich hat die Zeit hier sehr verwöhnt. Ich bin durch einige Krisen gegangen und es gibt vieles, das mich anstinkt. Gleichermaßen habe ich entdeckt, dass diese Stadt so viel mehr ist als nur das Disneyland des Festspielbezirks.
Es besteht hier ja ganzjährig ein kulturelles Umfeld, das überhaupt nicht provinziell ist. Ganz viele, die hier leben – auch Nicht-Salzburger, die über die Jahre hier sesshaft werden – entwickeln diese Ausstrahlung. Das Versprechen ist, sich in einer besonderen Form von Lebensruhe darauf einzulassen, mit dem eigenen Leben ein wenig anders umzugehen – und zu schauen, was passiert.“
(Ein Mitschnitt dieses Interviews findet sich in der Audiogalerie)
Thomas Oberender 2011:
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