Hörsturz #4: Wie sich unsere Welt verändert hat …
Zur aktuellen Situation ungarischer Medien
Es gibt keinen besseren Ort für ein Freies Radio als Ungarn! Wir haben über 200 Community Radios, das Mediengesetz anerkennt und definiert Community Medien und unterstützt den Sektor großzügiger denn je. Worüber beschweren sich dann die Freien Radios (und viele HörerInnen) in Ungarn? Das ist ein großes Rätsel. Allerdings nur für die Regierung und die Medienbehörden.
Die Medienbehörde kann alles widerlegen, was wir sagen, und oberflächlich gesehen, hat sie recht: Wenn ich sage, dass 50 % der Community Radios verschwunden sind, stellt die Behörde fest, dass ihre Zahl höher denn je ist. Wenn ich sage, dass die Radios weniger Geld bekommen also zuvor, sagt die Behörde, dass die Unterstützung für den Community- Medien-Sektor höher als je zuvor ist. Ziemlich widersprüchlich. Wir leben im Paradies der Freien Medien und wissen es nicht zu schätzen. Aber der Teufel steckt wie so oft im Detail.
Das ungarische Mediengesetz definiert zwar, was „Community Medien“ sind, allerdings versteht sie darunter etwas anderes als wir (die „echten“ Community oder Freien Radios in Ungarn und anderswo). Nach dem aktuellen Gesetz kann sich jedes Radio Community Radio nennen, wenn es die folgenden vier Bedingungen erfüllt:
- mindestens vier Stunden tägliche Sendezeit
- mindestens vier Stunden eigenproduzierte Erstausstrahlungen pro Woche
- zwei Drittel des (gesamten?) Programms müssen dem öffentlichen Interesse dienen (Nachrichten, Politik, Kultur im Interesse der jeweiligen Community und darüber hinaus)
- mindestens 50 % des Musikprogramms muss aus ungarischer Musik bestehen (aus dem ungarischen Mediengesetz von 2010, Act CLXXXV)
Von den Werten, die wir für wichtig erachten, findet sich im Mediengesetz nichts: Unabhängigkeit, Freiwilligenarbeit, Medienpräsenz für marginalisierte Gruppen, Partizipation, Offener Zugang oder demokratische Entscheidungsprozesse in der Organisation. Wenn eine Radiostation bereit ist, 75 % Programm im öffentlichen Interesse (was immer das heißt) zu machen und 50 % ungarische Musik zu spielen, kann sie problemlos den Status eines Freien Radios bekommen. Es ist unwichtig, ob das Radio einem Konzern, einem Unternehmer mit parteipolitischem Hintergrund oder einer Kirche gehört oder unter deren Einfluss steht. Es ist irrelevant, ob dort professionelle und bezahlte JournalistInnen in weisungsgebundener Abhängigkeit des Eigentümers arbeiten oder nicht. Es spielt keine Rolle, ob Freiwillige oder marginalisierte Gruppen involviert sind.
Weil das so einfach ist, haben viele kommerzielle und kirchenabhängige Radios den Status eines Community Radios beantragt, weil sie dann von den Sendegebühren befreit sind. Die ungarische Medienbehörde berechnet für jedes Radio eine solche Gebühr (für Civil Radio wären das 122 Euro pro Jahr), aber nur kommerzielle Radio müssen sie bezahlen, Freie Radios nicht. Die Zahl der „echten“ Community Radios hat sich durch die Änderung des Mediengesetzes halbiert. Einige (vor allem die vielen kleineren, die es in Ungarn gab) wollten nicht herausfinden müssen, was genau „im öffentlichen Interesse“ meint, konnten die Datenanforderungen nicht erfüllen oder wollten nicht 50 % ungarische Musik spielen (was tatsächlich eine Herausforderung ist). Die neue Lizenz sieht auch Strafzahlungen für das Nichterfüllen von Kriterien vor und die Behörde zeigt keine Hemmungen, diese auch einzufordern.
Manche Community Radios haben aufgegeben, weil die neue Medienbehörde (anders als früher) keine laufenden Kosten unterstützt. Zuvor war die wichtigste Einkommensquelle eine jährliche Ausschreibung, mittels derer die Basiskosten gedeckt werden konnten. Nun gibt es eine neue Vergabepraxis und neue Evaluationskriterien, außerdem muss das Budget mit den „neuen“ Community Radios geteilt werden, die ohnehin meist starken finanziellen Hintergrund haben (vor allem diejenigen mit guten Verbindung zur Regierungspartei oder der Kirche). Die anderen, vor allem viele von den kleinen Freien Radios am Land sind dadurch nicht mehr zum Zug gekommen und ohne jede Finanzierung geblieben. Es gäbe auch viel zu sagen über die ungerechte Vergabepraxis und unfaire Behandlung der echten Freien Radios durch die Behörde.
Trotz der schwierigen Bedingungen haben sich einige Freie Radios bis jetzt halten können. Diese kämpfen nun um das Überleben des echten Community-Medien-Sektors in Ungarn. Zum Beispiel konnten Tilos Radio und Civil Radio (die beiden größten, beide in Budapest) bis jetzt überleben. Civil Radio hat letztes Jahr in einem intransparenten Ausschreibungsprozess seine Frequenz für weitere 7 Jahre gesichert. Dabei betrug alleine die Teilnahmegebühr 8.000 Euro, was eine sehr großes Hürde für ein Freies Radios ist. Wir haben noch Glück, auch wenn wir permanent zu wenig Geld haben und jeden Monat kaum unsere Grundkosten abdecken können, denn wir haben eine technische Reichweite von 2 Millionen HörerInnen und eine 20 Jahre alte „Marke“. Wir können viele Menschen erreichen und haben eine starke Community, die uns in schwierigen Zeiten unterstützt – so auch, als wir für die 8.000 Euro Ausschreibungsgebühr sammelten. Andere Radios waren nicht in einer so glücklichen Lage …
Wir werden um die Rechte der Medien weiter hart kämpfen müssen, aber wir geben nicht auf, denn wir haben gerechte Ziele und die anderen Mediensektoren (privat und öffentlich-rechtlich) werden es nicht tun.
Es wäre schön, sagen zu können, dass die Veränderungen der neuen Regierung nur die Medien betreffen. Aber so ist es nicht: Die Wirtschaft liegt darnieder und es gibt viele Probleme im Gesunheitsbereich, in der Bildung und in Sachen Umwelt. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk (unter zentraler Kontrolle) propagiert ständig die Erfolge der Regierung in allen Bereichen und spielt die Bedeutung der Menschen herunter, die ihre Meinung sagen und auf den Straßen demonstrieren. Es ist klar warum es für diejenigen an der Macht wichtig ist, die Medien zu kontrollieren und Proteststimmen untergehen zu lassen.
Als jemand, der sich für Sozialstudien interessiert, bin ich persönlich sehr dankbar, dass ich öffentlich meine Meinung sagen und Licht auf die Tatsache werfen kann, dass und wie sich 2013 in der Mitte Europas eine Diktatur entwickelt. Wie sie nach und nach die demokratischen und zivilgesellschaftlichen Organisationen einengt und Zäune um und zwischen Menschen baut, die etwas ändern wollen.
Ich habe von meinen Großeltern gehört, wie die radikalen nationalistischen Bewegungen in den 1930er Jahren immer stärker wurden; Ich habe von meinen Eltern gehört, wie sich der Kommunismus ausgebreitet und durchgesetzt hat, aber ich habe in den letzten 20 Jahren noch nie die Einengung durch ein politisches System erfahren. Bis jetzt. Aber nun ändert sich die Situation in Ungarn.
Ákos Cserháti ist Geschäftsführer von Civil Radio, einem Freien Radio in Budapest.
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