Nachtfahrt aka Perlentaucher: Zufallsbekanntschaft
Freitag, 8. Juni 2018 von 22 bis 01 Uhr

Wir singen das Hohelied der Zufallsbekanntschaft inmitten der schon fast völlig zugeplanten Welt. Alle Kinder sind auf Tinder, aber finden sie dort auch das, was sie suchen? Oder freuen sie sich wunschgemäß über das, was ihnen längst vom Weltalgorithmus gefickt eingeschädelt ist? Hurra, die Fremdwunscheinpflanzung substituiert jede eigene Phantasie mit ihrem globalen Blahcebo des Verwertbaren. Nutzzweck statt Lebenssinn, Umsatzzahlen statt Wohlgefühl, Gabalier statt Gedankenfreiheit. Die 68er drehen sich doch im Grab um, sofern sie schon tot und nicht im Arsch durch die Institutionen stecken geblieben sind. Angepasste Konsumtrottel, der feuchte Wunschtraum der Herrschenden, das voll fernlenkbare Volk der Verblödung…
Doch bei all dem gepflegten Kulturpessimismus wollen wir unsere Ausgangsüberlegung erst recht nicht außer acht lassen: Wie lässt sich “der Zufall” auch heute noch erleben, wo doch ringsumher fast schon alles mit Besitztümern, Datenschutzgrundverordnungen, Urheberrechten, Lizenzgebühren und Verhaltensvorschrifen derart zugeschissen ist, dass es einem schlichtweg die Luft abdreht? Die Zufallsbekanntschaft mit einem anderen Menschen war schon immer wesentlich fürs spontane Reagieren auf veränderte Lebensumstände, ganz zu schweigen vom überfallsartigen Aufkommen unvorhersagbarer Gefühle, die zu verarbeiten sowohl Kreativität als auch Phantasie erfordert. Ein Rest Risiko in der wohlversicherten Zuvielisation des Urban Overload. Neuen Fragen begegnen – und neue Antworten darauf finden. Nicht bereits vorher definierte Gefühle erwarten und diese befriedigt bekommen – oder eben nicht. Der letzte Bewegungsspielraum einer menschlichen Sexualperson wäre also ja oder nein, null oder eins, pudern – oder wegwischen?
Und die Zufallsbekanntschaft mit einem Buch, einem Film, mit einem Thema oder mit einer Musik? Kann das Entdecken einer neuen Welt, wie sie in der unvorhergesehenen Begegnung mit einer Landschaft, einer Kultur oder einem einzelnen Bild entsteht, eins zu eins ersetzt werden durch eine vorgefertigte Version dieser unserer inneren Wirklichkeit? Maschinen haben keine Gefühle. Ein schöner Satz. Aber Märkte und Weltwirtschaften, politische Parteien, Hitradios, Börsenenkurse oder Zuckerberge haben auch keine. Die tun bloß so! Weshalb naheliegt, dass die psychischen Prozesse, die im Umgang mit dem Überraschtwerden auftreten, eben nicht durch mathematisch-mechanische Verfahren (und seien diese noch so schnell oder komplex) ersetzt werden können. Das untrügliche Kennzeichen des Lebendigen sind nämlich echte Gefühle – und keine künstlichen. Der Sänger einer recht jungen österreichischen Band (die ihren ersten großen Auftritt als Support für AC/DC hatten) verweigert generell jegliche “Dating-Apps”: “Was passiert, passiert, was nicht, nicht.”
Da gibt es dann sehr wahrscheinlich einen Zusammenhang
Norbert K. Hund, Nachtfahrt aka Perlentaucher
Sendungen zum Nachhören
Literatur oder Selbsthilfegruppe (Perlentaucher CXLVIII)
Bevor wir diesmal in unsere Bilderwelt aus Musik und Literatur eintauchen, wollen wir auf die Herkunft ihres heutigen Titels verweisen: Vor 15 Jahren war der Verleger Jochen Jung in der Sendung “Gierig auf Lyrik” zu Gast und äußerte dort, dass er mitunter den Eindruck von…
Kommando Pimperle (Perlentaucher CXLVII)
Inbetween, inbetweener, inbetweenst. Zwischen Wintersonnenwende und Weiberfastnacht steigern wir uns mit gepflegtem Weltuntergangshumor in ein erlösendes Lachen. “Mein Über-Ich hat Übergwicht” – eine interessante Beschreibung der depressiven Schräglagen des Seins – und ein Fall für unsere paradoxe Intervention aus Musik, Lyrik und angewandter Weltsatire. Was…
Rolle seitwärts (Perlentaucher CXLVI)
Es geht wieder aufwärts. Die Nacht der Nächte ist vorüber. Welche das jetzt genau ist? Geh, bitte! Auf jeden Fall tauchen wir wieder auf und stellen zufrieden fest, dass der Sender noch funktioniert. Mitunter ist es ausgesprochen hilfreich, eine Rolle seitwärts zu vollführen, um dem…
Glaubens- und Religionsreparatur (Perlentaucher CXLVI Teil 1)
Abraham Abendland ist abgebrannt – und isst ein Apfelkompott. Wie es in der Adventszeit bei uns inzwischen üblich ist, reisen wir auch diesmal wieder kreuz & quer durch die etwas anderen Traditionen unseres Menschseins. Was ist Glauben? Und was ist Religion? Zwischen eigener Erfahrung und…
Glaubens- und Religionsreparatur (Perlentaucher CXLVI Teil 2)
Abraham Abendland ist abgebrannt – und isst ein Apfelkompott. Wie es in der Adventszeit bei uns inzwischen üblich ist, reisen wir auch diesmal wieder kreuz & quer durch die etwas anderen Traditionen unseres Menschseins. Was ist Glauben? Und was ist Religion? Zwischen eigener Erfahrung und…
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