seitwärts:[poetologische ortungen]: Wien näherbringen….
Mittwoch, 31. Mai 2017 ab 19:00 Uhr: In dieser Ausgabe von seitwärts: [poetologische ortungen] möchte ich ein interessantes Projekt nach einer Idee und einem Konzept von Helmut Rizy, er ist selbst Autor, vorstellen. Unter dem Titel „Wien näherbringen“ soll ein [für viele] unbekanntes Bild der reichhaltigen Literatur- und [Klein]verlagsszene aus Wien in Oberösterreich gezeigt werden.
Es werden Auszüge der Veranstaltung im Linzer Stifterhaus [vom 9. Juni 2016] mit den in Wien lebenden Autorinnen und Autoren Hilde Langthaler, Thomas Northoff und Magdalena Knapp-Menzel präsentiert. Es ist Teil zwei dieser Konzeptidee von Helmut Rizy. Ihr vorangegangen ist eine Veranstaltung im Literaturhaus Wien, wo unter dem Titel „Oberösterreich näherbringen“ ebenfalls drei Autorinnen und Autoren aus der reichen und vielfältigen Literaturszene Oberösterreichs vorgestellt wurden.
[VA vom Di, 26.01.2016, im Literaturhaus Wien. Es lasen die in Oberösterreich lebenden Autorinnen und Autoren Waltraud Seidlhofer, Walter Kohl und Rudolf Habringer].
Autorinnen und Autoren: Magdalena Knapp-Menzel, Hilde Langthaler, Thomas Northoff
Moderation: Helmut Rizy
Begrüßung: Dr. Bernhard Judex, Stifterhaus Linz
Aufnahme: Erich Klinger
Sendungsgestaltung: Wally Rettenbacher
Musik (Einspielungen):
Attwenger – gedscho
Walter Simlinger – Schinkenfleckerln, lustiges Couplet, Wien um 1932/komponiert von Fritz Spielmann.
Georg Tramler, Kunstpfeiffer – Erzherzog Johann Jodler aus: „so geht´s zua bei uns in Wean“, Wiener Instrumentalmusik, 1895-1935, remastered by Soundborn Studios.
Buffalo Springfield – for what it´s worth. 1967
Stelzhamma – srpska moldava
Inhalt:
Hilde Langthaler liest unter dem Titel „Text über Wien – Schinkenfleckerln„, eine Reminiszenz an ihre böhmische Großmutter und deren Leben in der k.u.k. Monarchiezeit. In der Einführung zu dieser Geschichte erzählt sie über Wien als Anziehungspunkt für EmigrantInnen in der Monarchiezeit. Die heutige Flüchtlingssituation, so die Autorin, ist also kein neues Phänomen.
Sie veranschaulicht das gut in Zahlen: „1880 hatte Wien 1,1 Mio. Einwohner – 1916 2,2 Mio. Einwohner…. Heute hat Wien 1,9 Mio. Einwohner und somit den Stand von damals nicht erreicht“. Der Unterschied zu damals: „Allgemein gibt es heute mehr Wohlstand, zur damaligen Zeit gab es sogenannte Bettgeher, die sich ein Bett in Tag/Nacht Schichten teilten. Krankheiten wie Tuberkulose waren weit verbreitet“. Zu dieser Zeit lebte auch die böhmische Großmutter Hilde Langthalers. Sie liest die Geschichte einer Erinnerung an eine „zähe“ und willensstarke Frau, die in ihrer Kindheit als Vollwaise bei verschiedenen Vormundschaften aufgewachsen ist. Das war kein leichtes Leben. Nach dem Schulabschluss arbeite sie, mit Erlaubnis ihrer Vormundschaft, als k.u.k. Postbeamtin bis zu ihrer Heirat mit Josef. Die „unerschütterlich optimistische“ Großmutter Hilde Langthalers brachte ihre ganze Familie durch Kriegs- und Nachkriegszeit, die durch Inflation, Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit geprägt war. Sie zauberte „buchstäblich aus Nichts täglich ein Essen auf den Tisch“. Auch andere Schicksalsschläge konnten die tapfere Frau nicht beugen: der Tod ihres Sohnes, Hilde Langthalers Vater, der in der Stadt der Volkserhebung, Graz – zu dieser Zeit die Hochburg illegaler Nazis – erst 27-jährig verstarb.
Und die Schinkenfleckerln mit Selchfleisch, weil „an echten Schinken war nicht zu denken“ sind das Symbol für die damalige Zeit. Die Großmutter Hilde Langthalers steht für das Schicksal vieler Familien und für die Stärke der Frauen.
In einem weiteren, kurzen Ausschnitt liest die Autorin aus ihrem jüngst veröffentlichten Erzählband mit dem Titel „Im Gegenlicht“.
Im Anschluss liest Thomas Northoff, wie er selbst sagt, ein „endlos langes Poem aus seinem aktuellen Buch mit dem Titel “ Nein Eleven – Entwurf nach der Wirklichkeit“, wobei sich „das Wort Eleven nicht an der Zahl 11 orientiert, sondern an den Eleven“. „Der Irakkrieg zwei ist nur vordergründig ein Handlungsstrang“, erklärt der Autor weiter, „im Ganzen sind Verhaltensuniversalien der Menschen in Gewaltsituationen aufzuzeigen“. Northoff möchte“, ob der begrenzten Zeit, ein Gefühl für den Inhalt vermitteln“.
Nein Eleven ist ein lyrisches Verdichtungswerk, ein kriegerisches text/schlacht/feld ohne luft/raum, das aber den ZuhörerInnen das Gefühl gibt, nach jeder Satz- Wortschleuder innehalten zu müssen, um nachzudenken, um das alles zu verdauen. Aber das geht einfach nicht, wenn auf „Nachbarn Kehle durch“…..“Kopfschuss, weil freigelassen“ folgt, oder „Heimat Mutter, keine Tränen mehr, nur beten hoffen“…… denn das Poem geht weiter und weiter und immer weiter. Der Nachhall ist dann ein dunkler Luftschacht, in dem das über-parataktische Lyrikkomprimat des Dichters in einem Raum ohne Zeit einfach stecken bleibt, so, wie eine einzige, riesige, nie endende, oder nie enden wollende Schlagzeile.
Es kommt selten vor, dass eine Literatin auch Schauspielerin ist. Magdalena Knapp-Menzel ist so Eine. Wortstark füllt sie Raum. Wenn sie liest, dann sind das gesammelte Wortbrocken, Satzbrocken, die sie, aufgeschnappt aus der Umlaufbahn Leben, vertont. Da meckert sie mal, quietscht, dann zerrt sie wieder, sagt, brüllt oder gluckst [scheinbar] unzusammenhängend aber wohltemperiert ins Publikum. „…möcht spielen, hab aber den Wald nicht. …kein Wald, keine Weite…..um was geht´s, fragt die Elfe und die Zwölfe….und laufen wir und laufen wir und laufen wir und laufen wir…..“
Magdalena Knapp-Menzel bezeichnet sich als Eine „in den Hinterhof hinauswohnende“, der „Stimmen und Töne zugetragen werden[1]„. Das kann von Fabelwesen sein oder vielleicht von Elfen, oder von Kindern und in Sprachen, die sie oft gar nicht versteht, aber das macht nichts. Die Autorin ist in Wirklichkeit eine Schleusenwärterin, eine Wortbrocken- und Satzbrockenbeauftragte, die der Aufgabe nachgeht, das ihr zugetragene weiter zu geben.
Aktuelle Buchveröffentlichungen:
Hilde Langthaler
Im Gegenlicht – Fünf Episoden.
Edition Roesner, Krems/Donau 2015.
96 Seiten, brosch., Leinen, ISBN 978-3-903059-03-0
Thomas Northoff
Nein Eleven
Entwurf nach der Wirklichkeit
Lyrik der Gegenwart | Band 47| edition art science. st. wolfgang.
Erstveröffentlichung 03 2015 | 180 Seiten | Einband Softcover
ISBN 978-3-902864-42-0
Biografien:
MAGDALENA KNAPP-MENZEL, geboren 1964 in Wien, besuchte nach der Schule das Reinhardt-Seminar und war danach viele Jahre in Wiener Theatern tätig: Serapionstheater, Schauspielhaus mit Hans Gratzer, Gruppe 80 sowie freie Gruppen. Als Schriftstellerin arbeitet sie häufig mit bildenden Künstlerinnen und Musikerinnen zusammen. Magdalena Knapp-Menzel ist derzeit mit der Geschäftsführung der Grazer Autorinnen Autorenversammlung betraut.
HILDE LANGTHALER, geboren in Graz, lebt in Wien. Medizinstudium, Gaststudium an der Filmakademie. Mehrere Jahre als Ärztin in Afrika tätig. Mitbegründerin des Wiener Frauenverlags (heute Milenaverlag). Schreibt vorwiegend Prosa und Theaterstücke (für Ensemble-Theater am Petersplatz, Wien; Deutsches Staatstheater, Temeswar, Festung Hohensalzburg u. a.), Fernsehfilm ORF: ”Mit beiden Beinen fest in den Wolken” (Regie: Susanne Zanke). Mehrere Prosabände, letzte Buchveröffentlichungen: ”p-attacke”, Kurzgeschichten, 2010; ”Im Gegenlicht”, fünf Episoden, 2015.
THOMAS NORTHOFF, geboren 1947 in Wien, wo er als Schriftsteller und Graffitiforscher lebt. Von der Prosa wandte sich Northoff um 1990 lyrischen Formen zu und entwickelte seine literarische Verdichtungsmethode, um damit völlig unpoetische menschliche Konstellationen auszureizen. Vieles, was der Wahrnehmung entzogen wird oder verborgen bleibt, wird kenntlich. Einem Teil des literarischen Schaffens Northoffs liegen die inoffiziellen Botschaften im Öffentlichen Raum zu Grunde, meist Text-Graffiti. Basis dazu bildet das dokumentierte Sprachmaterial von über 80.000 solcher Botschaften, mit denen Northoff das literar-semiotische Endlosprojekt StadtLeseBuch/Letztes VolksBuch schreibt, gewissermaßen eine Comedie Humaine, komisch, erschreckend und „beste Dokumentarsatire”.
HELMUT RIZY wurde am 4. Oktober 1943 in Linz, Oberösterreich geboren. Die Kindheit verbrachte er in Leonfelden im Mühlviertel, wo er auch in die Volksschule ging. Er besuchte das Realgymnasium Khevenhüllerstraße in Linz. Nach der Matura übersiedelte er zum Studium der Germanistik und Philosophie nach Wien. 1963 begann er als Journalist zu arbeiten (Oberösterreichische Nachrichten, Neues Österreich). 1965 bis 1968 hielt er sich in Israel im Kibbuz Sde Nehemia auf. Danach arbeitete er wieder als Redakteur in Wien (Neue Zeitung, Volksstimme, Weg und Ziel) in mehreren Ressorts (Ausland, Gewerkschaft, Kultur). Über mehrere Jahre organisierte er die Lesungen „Linkes Wort am Volksstimmefest“ und fungierte als Herausgeber der damit verbundenen Publikationen. Er lebt derzeit als Schriftsteller und freier Journalist in Wien und Bad Leonfelden.
Frühe Erzählungen erschienen in „Neues Österreich“, „Volksstimme“ und „Mühlviertler Heimatblätter“. Weitere Veröffentlichungen in: „Landfriedensbruch, Reportagen und Geschichten aus der Provinz“, Werkkreis Literatur der Arbeitswelt, Frankfurt/Main 1982; „Linkes Wort für Österreich“, Wien 1985; „Facetten ’93“, Linz 1993; „Facetten ’94“, Linz 1994; „Geschichten aus der Arbeitswelt 5“, Wien 1997; „Das ’Eigene’ und das ’Fremde’“. Wien 1998; „Verkehrte Welt“, Wien 1999; „Schubumkehr“, Wien 2000; „Hierorts unbekannt“, Wien 2001; „Seien wir realistisch …“, Wien 2002; „friedenstaub“, Wien 2003.
Romanveröffentlichungen:
- Hasenjagd im Mühlviertel. Roman, Weitra 1995,Wien 2008, Neuedition
- Schweigegeld. Roman, Weitra 1999
- Andreas Kiesewetters Arbeitsjournal. Roman, Weitra 2001
- Ahasver kehrt zurück. Roman, St. Wolfgang, Wien 2008
- Maulwurfshügel. Roman, Bibliothek der Provinz, Weitra 2013
1993 erhielt Helmut Rizy den 1. Preis beim Max-von-der-Grün-Wettbewerb für Literatur zur Arbeitswelt. 1994 folgte der Theodor-Körner-Preis. Helmut Rizy ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung und der IG Autorinnen Autoren.
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