Hörsturz #10: Die Zukunftsmaschine – Wie Radiomacher*innen Radio hören

Von Fiona Költringer
Die Realität knallt auf meine Ohren und mein Tag beginnt.
Ich stelle meinen Frühstücksbrei auf den Tisch und das Radio an. Es ist ein altes Radio, das man sinngemäß anstellt. Keines, bei dem man mit dem Finger auf ein App-Symbol unter einem schmierigen Display tippt. Man muss ein Rädchen auf der Seite drehen, bis es Klick macht, die Antenne ein bisschen hierhin rücken, dorthin rücken, bis man Worte und kein Rauschen hört. Dann knallt die Realität auf meine Ohren und mein Tag beginnt.
In einem Haushalt ohne Fernsehgerät aufgewachsen, begleitet mich das morgendliche Radiohören der Nachrichten als wichtigste Informationsquelle seit meiner frühen Kindheit. Irgendwann wurde aus meinem Interesse für das Radiohören eine Neugierde am Radiomachen. Als Teil der Lehrredaktion der Radiofabrik Salzburg bot sich mir die Gelegenheit diese in die Tat umzusetzen. Es folgten einige selbstständige Beitragsproduktionen, zunächst für das Nachrichtenmagazin unerhört!, später auch für ANDI, den alternativen Nachrichtendienst von Radio Orange 94.0 in Wien
Durch Radiomachen anders Hören.
Noch während an diesem Morgen der Jingle des Nachrichtenjournals allmählich ausklingt, wird mir klar, dass meine Einblicke ins Radiomachen in erster Linie auch die Art und Weise, wie ich Radio höre, beeinflusst haben. Gerade fällt mir auf, wie der Jingle zunächst leiser wird, bevor mich die Stimme der Moderatorin durch das Mikrofon begrüßen kann. Vielleicht ist sie gerade ein bisschen aufgeregt, als sie den Regler langsam herunterschiebt und zu sprechen beginnt. Immerhin ist ihre Sendung live, dem, was sie jetzt sagt, hören viele Leute zu. Sie muss daran denken, deutlich und nicht zu schnell zu sprechen, den Ablauf der Sendung und die Zeit im Blick behalten, und gleichzeitig den Lautstärkeregler am Pult. Aber sie lässt sich nichts anmerken, sie moderiert professionell den ersten Beitrag an, bevor er abgespielt wird und die Moderatorin für ein paar Minuten Verschnaufpause bekommt.
Ich werde inzwischen auf eine Demonstration mitgenommen. Am Ballhausplatz demonstrieren 10.000 Menschen anlässlich der Beauftragung der FPÖ zur Regierungsbildung gegen einen befürchteten „autoritären Angriff auf Demokratie, Menschenrechte, Justiz, unabhängige Medien“ unter Kickl. Durch die akustische Atmosphäre, die der Journalist eingefangen hat, fühle ich mich sofort, als wäre ich mitten in der rufenden Menge. Ein dramaturgisches Mittel, das beim Bauen von Radiobeiträgen gerne verwendet wird, um Spannung herzustellen. Erstaunt stelle ich fest, wie gut es an mir selbst funktioniert. Ich will wissen, wie es weitergeht!
Der Journalist erklärt die Fakten zum Hintergrundgeschehen, dann werden einige der Demonstrierenden interviewt. Jemand spricht darüber, warum er seinem Ärger auf dieser Demonstration Ausdruck verleihen möchte. Ich weiß, dass dieser jemand auch vor und nach dem aufgenommenen Satz Dinge gesagt hat, die in dem Radiobeitrag möglicherweise keinen Platz gefunden haben. Weil der Journalist fand, es wäre nicht relevant genug, weil es akustisch schlecht zu verstehen war, oder einfach weil die Länge eines jeden Radiobeitrags begrenzt ist. Ich weiß auch, dass dieser jemand vielleicht Dinge denkt, die er nicht sagen konnte, weil der Journalist ihn nicht danach gefragt hat.
Jetzt höre ich eine neue Stimme, eine Frau. Die Abwechslung hilft meinem Gehirn aufmerksam zu bleiben, um zuhören zu können, was sie zu sagen hat. Mir ist klar: Auch von dem Interview mit der Frau höre ich wahrscheinlich nur einen Ausschnitt, den Rest ihrer Aussagen fasst der Journalist abschließend in seinen Worten zusammen und übergibt damit zurück ins Studio. Ich frage mich, ob er alle Zusammenhänge richtig dargestellt hat oder etwas aus dem Kontext gerissen wurde. So etwas kann beim Schneiden von Interviews schneller passieren, als man denkt, besonders wenn nicht gut genug recherchiert wurde.
Stille. Mikro wieder einschalten?
Nach dem Beitrag bleibt es im Radio einen Augenblick zu lange still, um Absicht zu sein. Hat die Moderatorin vergessen, nach dem Beitrag ihr Mikro wieder einzuschalten? Gibt es ein technisches Problem? Eine Änderung des Programms, weil hochaktuelle Nachrichten hereingekommen sind? Ich werde an ihrer Stelle nervös. Aber sofort ist ihre Stimme wieder da und erinnert mich noch einmal an ihren Namen und daran, welchen Sender ich gerade höre. Kein Grund, beleidigt zu sein. Das macht sie nicht, weil ich es in der Zwischenzeit vielleicht vergessen hätte, sondern für die Hörerinnen und Hörer, die erst später zugeschaltet haben. Und die kleine Pause? Wahrscheinlich ist sie außer mir gar niemandem richtig aufgefallen.
Ich stelle das Radio ab, bleibe aber gedanklich beim eben Gehörten hängen. Die Frage, wie lange ich in Österreich noch unabhängige mediale Berichterstattung verfolgen kann, beschäftigt mich in Zeiten des politischen Umbruches wie diesen. Könnte ich vielleicht sogar selbst bald zum Opfer von einseitiger Berichterstattung und politischer Propaganda werden? Und vor allem: wie kann ich mich davor schützen?
Antworten auf diese Fragen finde ich in wissenschaftlichen Publikationen, die sich mit genau diesen Fragestellungen auseinandergesetzt haben. Die Datenlage weist diesbezüglich eindeutig in eine Richtung: Medienkompetenz hat einen positiven Einfluss auf die Anfälligkeit für politische Propaganda. Das bedeutet, dass Menschen, die ein gutes Verständnis für die Funktionsweise von Medien haben, besser in der Lage sind, manipulative Inhalte zu identifizieren. Insbesondere die Fähigkeit, Quellen zu hinterfragen und kritisch zu bewerten, kann dazu beitragen, leichter einseitige politische Botschaften zu erkennen.
Werkzeugkoffer Medienkompetenz
Ich atme ein bisschen auf. Durch die Lehrredaktion und meine Tätigkeiten im Freien Radio ist es möglich gewesen, mir einen robusten Werkzeugkoffer an Medienkompetenz anzueignen. Meine gewonnenen Einblicke in die Entstehungshintergründe medialer Inhalte helfen mir nun dabei, dies ein einen breiteren sozialen und politischen Kontext einzuordnen und so widerstandsfähiger gegen Desinformation und Propaganda zu bleiben. Die Wissenschaft zeigt aber auch: Die zunehmende Komplexität einer algorithmusgesteuerten Medienlandschaft kann selbst medienkompetente Menschen überfordern, zwischen echten und manipulativen Inhalten zu unterscheiden. Mein Werkzeugkoffer an Medienkompetenz muss also auch regelmäßig gewartet und erweitert werden, um auch unter diesen Herausforderungen Medieninhalte kritisch reflektieren zu können. Vor allem aber muss ich wachsam bleiben, weil Propaganda auch mich, so wie alle von uns, treffen kann.
Deshalb wäre es auch unerlässlich, dass eine neue Regierungskoalition, welcher Farbe auch immer, einen politischen Rahmen absteckt, der unabhängigen Journalismus in Österreich weiterhin ermöglicht. Da es derzeit allerdings nicht wirklich danach aussieht, werden Angebote des Freien Radios – wie die Lehrredaktion – die einen wertvollen Beitrag zur Erhöhung von Medienkompetenz in der Gesellschaft leisten, in Zukunft noch weiter an Bedeutung gewinnen.
Fiona Költringer hat 2023 die Radiofabrik Lehrredaktion absolviert. In ihrem Abschlussprojekt begleitete sie den Virgilbus. Eine mobile Ambulanz für Menschen ohne Krankenversicherung.
Der Beitrag kann hier nachgehört werden: https://cba.media/661012
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