Hörenswert: Father John Misty – „Mahashmashana“
Vorweihnachtliches Verbrennen von Altlasten: Mit wem würde man das lieber machen, als mit vertrauensvollen, spirituellen Größen?
Father John Mistys Mahashmashana (ein Sanskrit-Begriff für „großer Verbrennungsplatz“) bringt passend zum Jahresende apokalyptischem Rock, barocke Opulenz und introspektive Balladen.
Hörenswert. Das RF-Album der Woche ist zu hören am Freitag, 20.12.2024 ab 14:06 Uhr, Wiederholung am Donnerstag, 2.1.25 ab 00:00 Uhr.
Mahashmashana, all is silent
Father John Misty aka Joshua Tillman begann eigentlich als Schlagzeuger (er stammt übrigens aus Rockville, Maryland, alles klar), was ihn zwischen 2008 und 2012 zum Schlagzeuger der Fleet Foxes machte (die erfolgreichste Zeit der Band), nachdem Nick Peterson die Band verlassen hatte. Tillmann startete nach den Fleet Foxes 2012 sein eigenes Projekt Father John Misty, mit seinem Debüt „Fear Fun“ (2012) sprang er gleich in die US-Charts, „I Love You Honeybear“ (2015) schaffte es sogar zur Nr. 1 der US-Indie- und gleichzeitig Nr. 3 der US-Rock-Alben. Nominierungen für einen BRIT-Award und einen Grammy Award folgten, bevor er letzteren 2017 für die Deluxe Edition von „Pure Comedy“ auch bekam. Dazwischen zog er auf einem Festival in New Jersey über die Unterhaltungsindustrie und Volksverdummung her und was soll man sagen, man kann es ihm nicht verübeln.
And in thе next universal dawn
Won’t have to do thе corpse dance, do the corpse danceMit Mahashmashana legt Father John Misty sein sechstes Album vor und liefert erneut einen Beweis für sein Gespür für die großen Themen des Lebens, eingefangen in ebenso opulenten wie ironischen Klangwelten. Auf dem geistigen Höhepunkt im Kirchenjahr lässt auch der Titel, der sich aus mahāśmaśāna entlehnt, die brennende Einöde vor dem nächsten Leben erkennen. Und lässt keinen Zweifel daran, dass es hier um Endlichkeit, Vergänglichkeit und den Übergang in etwas Neues geht.
Tillman hat sich diesmal nicht nur als Songwriter, sondern auch als Produzent und Arrangeur neu erfunden. Unterstützt von Drew Erickson und Gastkünstlern wie BJ Burton (Mix) und Alan Sparhawk (Gitarre auf „Screamland“), jongliert er meisterhaft zwischen seinen zwei bekannten Modi: den wilden, ironischen Mid-Tempo-Nummern und den melodramatischen, schmerzlich schönen Balladen. Mit Saxofon, Streicher, flächige Synthesizer und sanftes Piano, zwischen kompletter Übertreibung und tiefem Ernst baut Tillman dichte Arrangements und kunstvolles, perfektes Songwriting: Songs wie „Josh Tillman and the Accidental Dose“ sind wehmütige Soft-Rock-Stücke, „She Cleans Up“ mit Cowbell und verspieltem Groove erinnert dann eher an einen Ritt auf dem mechanischen Stier. Dazwischen bleibt der Father spitz und scharfsinnig und mischt in „I Guess Time Makes Fools of Us All“ resignierte Beobachtung und Ironie im von Untergangsstimmung geprägten Universum: „The great-ish minds of my generation/Gladly conscripted in the war.“ Die wichtigste Erkenntnis ist, dass diese Version des Erzählers sehr wohl weiß, dass, wenn er nicht verrückt ist, es alle anderen sein müssen.
Dieses Album ist voller sprachlicher Perlen und gedanklicher Abgründe. Von einer dekonstruierten „Amazing Grace“ bis hin zu Reflexionen über den psychischen Zustand der westlichen Gesellschaft in „Mental Health“ – eine Liebeserklärung! – hier werden die Grenzen zwischen Wahrheit, Fiktion und Wahnsinn fröhlich groovend ausgelotet. So breitet sich „Screamland“ siebenminütig und monumental mit Streicherarrangement und wallender Gitarre gleichermaßen Low und mit überbordenden Klangwelten im Stil von Hollywood aus. Gott bewahre, dass wir uns nicht amüsieren! Die ausufernden Retro-Folk-Songs, die mächtige Bariton-Stimme des Fathers, der gut verteilte Seventies-Westcoast-Funkpop, die Gänsehaut, die Emotionen – die prächtigen Aussichten, dass Mahashmashana Father John Mistys neues Opus magnum wird, streben weiter himmelwärts.
Do the corpse dance with these on
Die Dualität von Mahashmashana, dem zynischen Kommentar auf die Absurditäten unserer Zeit und die überraschende Tiefe und spirituelle Dimension, darf philosophisch, agnostisch, atheistisch und, wer will, religiös aufgefasst werden aber zum Schluss muss man halt auch mit der Frage umgehen können, was bleibt, wenn alles zu Staub zerfällt. Father John Misty ist nicht der Führer, sondern der Geschichtenerzähler, der das Tragische und das Lächerliche im Leben nebeneinander stellt. Schmerzvoll ist der Humor seiner Weltsicht aber welche Apokalypse ist schon lustig.
„Mahashmashana“ von Father John Misty ist am 22. November 2024 bei Sub Pop erschienen.
Lass' uns einen Kommentar da