Rückkehr nach 17 Jahren: „I Can Change“ von ReadyMade FC ist großartiger, französischer Alternative Pop mit Chanson und Electronica, Jazz und Hip-Hop und gutem alten Swing.
Der Pariser Komponist, Produzent und Multiinstrumentalist Jean-Philippe Verdin mischt französische Coolness und Lounge-Musik mit Street Credibility und dem Willen zur Veränderung: Die besten Vorsätze für den Sommer.
Hörenswert. Das RF-Album der Woche ist zu hören am Freitag, 21.7.23 ab 14:08 Uhr, Wiederholung am Donnerstag, 3.8.23 ab 00:00 Uhr
Eigentlich ist Jean-Philippe Verdin aka ReadyMade FC in seinem Heimatland eher für Werbejingles, als Soundtrack-Macher von Christian Dior und als Studiomusiker für Filme wie den Kinohit „LOL (Laughing Out Loud)“ mit Sophie Marceau bekannt. Aufgewachsen in einer Familie aus Opernsängerin (Großmutter), Pianistin und Geigerin (Schwestern) und musikbegeistertem Journalisten (Vater) lernte er erst über letzteren den Jazz kennen, später in den 1980er-Jahren im Militärdienst in West-Berlin den Berliner Underground mit Beats und Bässen. Zurück in Paris nahm in Philippe Cohen Solal, der spätere Gründer von Gotan Project, zu einem Rave auf dem Campus der Jussieu-Universität mit.
Touch the ground
Das wars vorerst mit dem Pop, es folgten ein Atari-Sequenzer und die Liebe zur Maschine. Der Name ReadyMade ist eine Anspielung auf seinen künstlerischen Hintergrund – Verdin studierte an der Kunsthochschule Paris-Cergy und arbeitete als Grafikdesigner und künstlerischer Leiter – und auf die Tatsache, dass DJs und Produzenten nie ihr Gesicht zeigen: „Es war eine Art zu sagen, dass elektronische Musik sowohl ein Kunstwerk ist als auch nicht„. „I Can Change“ hat quasi von allem ein bisschen was und ist doch etwas völlig anderes. ReadyMade FC jongliert mit Unaufdringlichkeit, französischem Charme und eigenwilligem Synth-Sound, inmitten von hypnotisch pulsierendem elektronischem Beat erhebt sich das Album sanft, cool und als leicht verträumte Oase.
Nach Verdins Produzenten-Erfolgen, den früheren gemeinsamen Auftritten u.a. mit Underworld, Roÿksopp, Carl Craig und Arbeiten mit Etienne Daho, Jacno, Alain Chamfort und Michel Delpech ist „I Can Change” Programm: ReadyMade FC hat seine unverkennbare Handschrift erweitert, weitergeschrieben und verformt und sie im Herzen von fruchtbaren Zweideutigkeiten neu verfasst. Das ist das Wesen seines 4. Albums, das zum Teil aus 15 Jahre alten Songideen besteht, aus Erinnerungen an Begegnungen und Ergebnissen kreativer Austausche.
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Die Stimmen auf „I Can Change“ spiegeln diesen umfassenden Austausch wieder: Zu hören sind die anglo-marokkanische Schauspielerin und Rapperin Jahz Armando (die gerade die Hauptrolle in „Gangs of London“ übernahm) und Ann O’Aro, eine Sängerin aus La Réunion, die auf einem pulsierenden Beat, der so kompliziert wie nur möglich ist, die Leiden des postkolonialen Zustands ihrer Insel „In Landrwa“ besingt. Jahz Armando liefert einen autobiografischen Bericht über ihr Leben als homosexuelle Frau in London ab, die Italo-Marokkanerin Kal singt über ihr Leben als schwarze Frau in einem mehrheitlich weißen Land. Claire Vailler, Mitglied der Band Midget!, legt ihren subtilen Gesang auf einen erhabenen Elektro-Pop-Hintergrund, die französische Sängerin iranischer Herkunft Ladybird in Paris spricht mit Grace-Jones-ähnlichen Talk-Over ihr Leben ins Mikrofon und Jeff Hallam, ein in Paris lebender Kontrabassist aus Portland und ehemaliger Bandkollege Verdins in dessen Bop-Band, legt seine leicht schräge Phrasierung auf verschachtelte Lo-Fi-Beats von „Lenny Bruce“, die an die Beat-Generation-Figur erinnern. Verdin singt auch selbst und wechselt zwischen Instrumenten und Stilen hin- und her, Kauderwelsch bei „Art of Brutalism“, Disco-Diva in „Dolphins“ und Geschichtenerzähler in „The Army Band“, eine Erinnerung an die West-Berlin-Zeit kurz vor dem Mauerfall.
Warm umarmt, sorgfältig produziert, ansteckend introspektiv: „I Can Change“ ist ein Selbstporträt mit abstraktem Hip-Hop, mit 90er-Jahre-Dschungel-Jazz und organisch inspirierter Electronica, Lo-Fi mit grenzwertigen Arrangements und hochpräzises Songwriting: Was wunderbar vertrackt kling, macht auch wunderbar viel Spaß und Laune auf schwer fassbarem Pop mit Soundtrack-Anleihen, auf seltsam geformte Loops und dazwischen ein kühler Drink irgendwo im Urlaub.
„I Can Change“ von ReadyMade FC ist am 16. Juni 2023 bei Grönland Records erschienen.
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