Hörenswert: Warmduscher – „Too Cold To Hold“
Ein Warmduscher will man ja eigentlich nicht sein.
Außer, man ist eine Supergroup aus London, findet das Wort witzig und macht Musik zwischen Wahnsinn, Jazz und Punk-Jams. Das ist dann nämlich so cool, dass es einfach „Too Cold To Hold“ ist.
Hörenswert. Das RF-Album der Woche ist zu hören am Freitag, 15.11.2024 ab 14:06 Uhr, Wiederholung am Donnerstag, 21.11.24 ab 00:00 Uhr.
Drunk texts, Cabs, money, food, simple living
Write a song and hope the kids are gonna sing it
Warmduscher entstammen der kreativen Ecke Londons und fanden sich 2014 eher als impulsive Kollision aus Londoner Musikgrößen, statt als geplante Band zusammen. Ein ganz gewöhnlicher Abend unter Musikern, die sich für ein Projekt zusammentaten. Aber aus dem ursprünglichen Sideprojekt entwickelte sich das Kollektiv schnell zu einer festen Größe in der Londoner Musikszene: Mit Clams Baker Jr. (aka Craig Louis Higgins Jr), Benjamin Romans-Hopcraft (Mr. Salt Fingers Lovecraft), Adam J. Harmer (Fat White Family, Quicksand), Quinn Whalley (The Witherer), Marley Mackey (Three Piece aka the Worm) und Bleu Ottis (Bleucifer) steht Warmduscher für einen vibrierenden Mix, der nicht wirklich zu fassen ist. Außer vielleicht mit Funk-Jazz-Punk-Garage-Groove-Pop und mit einer großen Affinität zu einer kleinen Portion Irrsinn.
Da passt natürlich auch die Etymologie hervorragend dazu: Warmduscher ist eine spaßhafte oder beleidigende Bezeichnung für eine Person, die subjektiv für schwächlich oder feige gehalten wird, sagt Wikipedia. Und Ella Frances Sanders hat Warmduscher im Jahr 2014 in ein Buch mit Beispielen von nicht übersetzbaren Wörtern aufgenommen. Wir sind also schon mittendrin, in der Selbstironie, die gar nicht erst den Anspruch hat, sich klar zu definieren. So weit, so verwirrend.
„Warmduscher folgen dem Modus Operandi der Fat White Family-Schirmherrschaft. Das heißt, sie greifen sich ein Genre und tun alles in ihrer Macht stehende, es als gebrochenes, zuckendes Wrack zurückzulassen, wenn sie mit ihm fertig sind.“ (NME)
Angefangen beim ersten Album Khaki Tears (2015) über Whale City (2018) bis hin zu Tainted Lunch (2019) und dem gefeierten At the Hotspot (2022), entwickelte sich der chaotische und gleichzeitig exzellent orchestrierte Sound immer weiter, unterstützt von den ikonischen Produzenten Dan Carey sowie Joe Goddard und Al Doyle (Hot Chip). Chaos ist und bleibt das Markenzeichen von Warmduscher, ein Sammelsurium aus Punk, Funk und roher Energie. Clams Baker Jr., der charismatische Frontmann, lässt auch auf der Bühne keinen Stein auf dem anderen, konsequenterweise.
You wonder why kids are high
Das neue Too Cold To Hold ist der nächste vertonte Mut zur Genre-Anarchie, rotziger Garage-Rock flirrt gemeinsam mit Synth-Pop-Vibes, Funk-Einschläge ranken sich nach dem gesprochenen Opener von Irvine Welsh um düster-verruchte Post-Punk-Echos und laden Song nach Song die Spannung auf, straight aus dem Londoner Underground. Die Text-Musik-Schere ist enorm; Fashion Week, Kleopatra, tadellose Täuschungen und Unkraut werden entkontextualisiert, zerlegt und mit Einzelteilen experimentiert, mit Neugier näher betrachtet und für die Nachkommenden mit DIY neu arrangiert, damit auch die etwas zu erleben haben.
Wir wollten, dass es eine brutal ehrliche Darstellung von uns selbst ist. Ich denke, die Formel für Warmduscher ist Chaos. In jeder Hinsicht. Das Chaos, das wir uns zu eigen machen, hat Methode, und es ist wirklich wichtig, dass wir es unter Kontrolle haben und dass sich dieses Chaos entwickelt. Andernfalls würden wir uns in der gleichen Schleife befinden und den Leuten das geben, von dem sie denken, dass sie es von uns wollen.
Too Cold To Hold sprengt schillernd die eh schon weiten Grenzen und wilden Sounds von Warmduscher, mit hypnotischem, treibendem, polyrhythmischem Groove des südafrikanischen Gqom, würzen sie mit einer Prise Hip-Hop und jazzen das Ganze mit Punk-Funk-Disco-Pogo in ungeahnte Höhen. Produziert von Ben Romans Hopcraft und Jamie Neville ist das eigentlich schon mehr Energie als Musik: Hier wird das Chaos kurz eingefangen und ein paar bockende Runden im Gehege herumgescheucht bis es ein bisschen gezähmter wird, nur um es dann wieder elektrisierend aufzumischen und voller Freude der spontanen Explosion dem freien Spiel der musikalischen Kräfte zuzusehen.
Ob das „schäbigste, ausschweifendste und geradezu süchtig machende Erlebnis im Londoner Gitarren-Underground“ (Clash) nun den Begriff Warmduscher auch im deutschsprachigen Raum uns wieder salonfähig macht? Bestimmt!
„Too Cold To Hold“ von Warmduscher erscheint am 15. November 2024 bei Strip Origin.
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