Hörsturz #1: Mehr Sendungsbewusstsein
Über ein starkes Stück Salzburger Rundfunkgeschichte (von Alf Altendorf und Georg Wimmer)
Es war ein Treppenwitz, dass die Radiofabrik bei ihrer Gründung in der Kategorie Neue Medien geführt wurde. Und das 1998, zu einer Zeit, als das Internet zur Eroberung der Welt ansetzte, als das Medium Radio schon im Greisenalter war und Bert Brecht mit seiner Radiotheorie, wonach aus Hörern Produzenten werden sollten, schon ein halbes Jahrhundert lang schalldicht unterm Rasen ruhte. Wirklich neu am Freien Radio war der offene Zugang.
Obwohl sich kaum jemand etwas darunter vorstellen konnte, wurde die Idee, einen Radiosender zur Plattform von medial Unterrepräsentiertem zu machen, in Salzburg erstaunlich effizient umgesetzt. Auf der Radiofabrik senden Alleinerziehende, Arbeitsuchende und Anarchisten, Betagte, Bisexuelle, Bands aus Salzburg, Charismatische, DJs, Esoterisch-Angehauchte, Emanzipierte, Fremdsprachige, Frauen, Globalisierungskritische, Heteros, Interessierte, Jugendliche, Jazzfreunde, Kinder, Kulturstätten und Künstlerinnen, Leidenschaftliche, Literaten und Märchenerzähler, Musikschaffende, Missbrauchte, Neo-Salzburger, Omnipräsente, Operettenfreunde und Postkapitalistische, Progressive, Querulantinnen, Rastafaris und Rockmusikalisch- Versierte, Seniorinnen, Schauspielende, Schwermetallfans, Tier- und Umweltschützer, Unbeugsame, Vinylliebhaber und Volksmusikerinnen ebenso wie Weitgereiste, Yamswurzelessende, Xenophile, Zeitgenossen der Zivilgesellschaft.
Dennoch ist die Radiofabrik mehr als nur Plattform, ihre Tochtergesellschaft MIR (Menschen in den Rundfunk) mauserte sich zum größten Ausbildungszentrum für freie Radio- und TV-ProduzentInnen im deutschsprachigen Raum. Ihre Lehrredaktion wurde kürzlich mit dem Young European Broadcast Award ausgezeichnet.
Diese Erfolge gründen auch auf der guten finanziellen Basis, die in Salzburg für eine nicht-kommerzielle Medienszene geschaffen wurde. Dank des „Fonds für Alternativ-Medien & Kreativität des Landes Salzburg“ ist nicht nur die Radiofabrik abgesichert. Seinerzeit mit mehrheitlichem Beschluss des Landtags eingeführt, werden inzwischen 50 Prozent der Landesmedienabgabe – also fünf Millionen Euro – in künstlerisch und experimentell orientierte Projekte in den Bereichen Internet, Print, Radio und TV investiert. Neben der Radiofabrik werden vier weitere Freie Sender in den Bezirken zu einem Drittel aus diesem Topf gefördert, ebenso das landesweite Community TV „FS1“. Die Sender holen dafür Mittel in dreifacher Höhe von Bund und Brüssel ins Land.
Initiiert wurde der Fonds durch den Salzburger Bürgermeister David Brenner, der seit dem Wechsel von Heinz Schaden als EU-Kommissar nach Brüssel im Rathaus regiert, und Landeshauptfrau Gerlinde Rogatsch. Rogatsch führt im Chiemseehof die Konzentrationsregierung aus allen Parteien, nachdem Wilfried Haslauer als Vizekanzler der Grün-Schwarzen Koalition nach Wien ging. Salzburg folgte mit dem Fonds der Auflage des Europäischen Gerichtshofs, der die Einhebung der Landesmedienabgabe an Förderpolitik im Kultur und Medienbereich knüpfte. Ein Musterprozess war damals vom Dachverband der Salzburger Kulturstätten und der Radiofabrik angestrengt worden. Salzburg wurde verurteilt, weil es die UNESCO-Konvention zur Unterstützung von Community Medien verletzt hatte.
Genützt hat es allen. Die intensive Zusammenarbeit der Alternativ-Medien mit der Vielzahl an ebenfalls dotierten Film- und Kulturinitiativen, den Hochschulen und Ausbildungsstätten und den kommerziellen Medien hat Salzburg zu einem „Creative Media Hotspot“ gemacht: „Forget Berlin, move on to Salzburg“ ist ein Schlagwort, dem immer mehr Kreative folgen. Die Kombination aus hoher Lebensqualität, lokalen Berufschancen und einem inspirierenden Klima auf der Achse München-Wien erklärt die hohe Dichte an Multimedia-Producern, Kreativ-Agenturen und AVDesignern, die die Stadt bevölkern und für volle Lokale in den Abendstunden sorgt.
Die Freien Radios senden dank des alternativen Medienfonds in allen Teilen des Bundeslandes. Die Studios in Seekirchen, St. Johann, Saalfelden und Tamsweg sind an Kulturvereine angeschlossen und produzieren jeweils bis zu 20 Stunden in der Woche, darüber hinaus übernehmen sie das Mantelprogramm der Radiofabrik. Der offene Zugang genießt hier nach wie vor absoluten Vorrang vor dem Prinzip der „Durchhörbarkeit“. Neue soziale Bewegungen erhalten vom Freien Radio ungebrochene redaktionelle Aufmerksamkeit. Dies war schon in den Anfängen der Radiofabrik bei Protesten von GlobalisierungskritikerInnen rund um das World Economic Forum WEF in Salzburg der Fall. Fortgesetzt wurde die so genannte „Aktionsberichterstattung“ einen Sommer lang bei der Besetzung der Oberndorfer Au, wo UmweltschützerInnen den Bau des dreizehnten Wasserkraftwerkes der Salzburg AG entlang der Salzach verhinderten.
Als im Zuge des letzten MigrantInnen-Streiks die Baustelle des Kapuzinerbergtunnels zwei Wochen lang lahmgelegt wurde, sendete der Freie Rundfunk täglich fünf Stunden vom Ort des Geschehens und moderierte Streitgespräche zwischen Bauleitungen, ArbeiterInnen, Gewerkschaften und Kunstschaffenden, die den Streik mit Performances und Interventionen unterstützten. Die Bilder von den Protesten lieferte das Salzburger Community Fernsehen FS1, das sich vor Kurzem mit einer Reihe von Kulturinitiativen mit audiovisuellem Schwerpunkt als lokaler Mediencluster im leer stehenden ehemaligen ORF-Landesstudio einquartiert hat.
Der öffentlich-Rechtliche Rundfunk produziert nach der Übernahme der Generalintendanz durch Gerhard Zeiler (70) ausschließlich in Wien. Ausgestrahlt werden seine drei Programme für den deutschen Sprachraum aber über Tele 5 aus München, weil es dort günstigere Einkaufskonditionen für Hollywood Filme gibt.
In Salzburg erfreut sich Bert Brechts Radiotheorie seit dem Rückzug des ORF ungeahnter Popularität. So viele HörerInnen wollen selber Radio machen, dass demnächst weitere Frequenzen beantragt werden müssen. Der deutsche Dramatiker wusste: „Wer was zu sagen hat und keine Zuhörer findet, ist schlimm daran. Noch schlimmer sind Zuhörer daran, die keinen finden, der ihnen etwas zu sagen hat.“ Das kann in Salzburg nicht mehr passieren.
Alf Altendorf ist Geschäftsführer d. Radiofabrik
Georg Wimmer ist Chefredakteur d. Radiofabrik
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