Hörsturz #10: Die Zukunftsmaschine – Liebes Tagebuch!

Ein Blick in die Zukunft der Medien von Tales Tomaz
Ich wollte eigentlich schlafen gehen, aber spürte den Drang, mein Tagebuch wieder zur Hand zu nehmen. Schließlich werde ich nicht mehr lange hier sein und nach Jahrzehnten der Medienforschung und des Kampfes für eine demokratischere Gesellschaft möchte ich einige persönliche Erinnerungen und Reflexionen für das letzte Jahr dieses Jahrhunderts festhalten.Mein Interesse für die Medien begann, als unsere Schulklasse an diesen Medien-Workshops der Radiofabrik in Salzburg teilnahm.
Künstliche Intelligenz?
Damals meinten viele Leute, dass künstliche Intelligenz Journalist*innen und Medienorganisationen ersetzen und die gesamte Kommunikation automatisieren würde. Ja, ich war nur ein Kind in den 2020er-Jahren, aber wenige Jahre später, als Teenager, begann ich, an einigen Radiosendungen mitzuwirken und tauchte schnell in die Debatten ein – bevor ich schließlich selbst Wissenschaftler wurde.
Tatsächlich glaubten seit den Anfängen des Internets viele Enthusiast*innen, dass wir ohne Journalist*innen oder Medienhäuser, die unsere Informationen einordnen, besser dran wären.
Heute klingt das lächerlich, ich weiß. Aber ich erinnere mich noch gut daran, wie wir beinahe diesem „Tech“-Wahn erlagen. Oligarchen aus Westen und Osten sahen in der Hoffnung auf „unvermittelte“ Information eine Gelegenheit, ihre Macht zu vergrößern, indem sie die Kontrolle über diese Technologien übernahmen. Solche Technologien zu entwickeln, ist zwar teuer, doch sie ließen sich weltweit verkaufen – und ihre Besitzer*innen verdienten so ungleich mehr, als wenn sie traditionelle Medien ausgebaut und Journalist*innen angestellt hätten. Sie nutzten die Situation gnadenlos aus.
Angriff auf System-Medien
Ich erinnere mich noch an die 2020er- und 2030er-Jahre, als sie systematisch öffentlich finanzierte Medien angriffen – und damit eine Zeit lang in vielen Ländern erfolgreich waren, auch hier in Österreich. Es ist unfassbar, wie Populist*innen, die vorgaben, das Land zu verteidigen, diese Rhetorik übernahmen und unzählige Menschen davon überzeugten, dass es eine gute Idee sei, Journalist*innen zu entmachten, unsere lokalen Medien zu zerschlagen und sich völlig auf die Technologien von Milliardären zu verlassen.
Die Menschen von heute fragen, wie meine Generation weiterhin die Umwelt zerstören konnte oder warum es so lange dauerte, bis wir die Rechte von Migrant*innen, People of Color und Frauen ausreichend schützten. Na gut, wir gingen durch die wohl herausforderndste Zeit der modernen Gesellschaften seit den Weltkriegen mit einer Kommunikationsinfrastruktur, die von reichen Leuten kontrolliert wurde, die jeden Fortschritt hin zu einer gerechteren Gesellschaft sabotierten. Sie hatten keine Scheu, sich der Desinformation zu bedienen.
Widerstand
Doch der Widerstand wuchs. Viele von uns verweigerten sich dem Zynismus und akzeptierten nicht, dass Ungerechtigkeit siegen würde. Doch das war alles andere als einfach. Es braucht Ressourcen, um die Mächtigen zur Rechenschaft zu ziehen. Es braucht Menschen vor Ort, um über die extremen Ereignisse zu berichten, die sich in der Mitte des Jahrhunderts häuften – ökologische Katastrophen, soziale Zusammenbrüche, Kriege. Wir mussten unabhängige Medien in all ihren Formen noch mehr unterstützen – unser öffentlich-rechtliches Fernsehen, gemeinnützige Medien und Community Medien.
Die 2060er-Jahre markierten einen Wendepunkt. Die massive globale Fluchtbewegung aufgrund der Klimakatastrophe brachte Millionen von Menschen nach Europa.
Die hochentwickelte technologische Infrastruktur mit ihren automatisierten Systemen und Bots vervielfachte die Hetze der Oligarchen gegen Migrant*innen. Doch wir hatten auch viele Menschen in den unabhängigen Medien, die die realen Ursachen und Bedingungen dieser Fluchtbewegungen aufzeigten. Sie zeigten auch, dass ein Zusammenleben trotz aller Unterschiede möglich war.
Die meisten von uns erkannten schließlich, dass das jahrzehntelange Sündenbock-Narrativ nicht funktionierte – und begannen, den Stimmen der unabhängigen Medien Gehör zu schenken.
Gemeinwohl – unsere Kämpfe müssen wir selbst führen.
Seitdem hat sich alles dramatisch verändert. Das Vertrauen in diejenigen, die Informationen für das Gemeinwohl und nicht für private Interessen produzieren, wuchs über die Widerstandsbewegung hinaus. Die Forderungen, ihre Arbeit zu sichern, wurden lauter – und die Politik konnte sie nicht mehr ignorieren. In dieser Zeit wurde Europas Medienlandschaft neu gestaltet:
Einerseits wurde eine öffentlich-rechtliche Tech-Infrastruktur entwickelt, andererseits wurde das System öffentlicher, gemeinnütziger und community-basierter Medien, die sich gegenseitig ergänzen, verstärkt.
Heute erscheint all das selbstverständlich. Doch das ist es nicht – und es muss auch nicht so bleiben. Noch immer gibt es Kräfte, die versuchen werden, sich unsere Informationskanäle wieder anzueignen, um ihre Eigeninteressen durchzusetzen.
Es liegt an uns, diese Errungenschaften in das nächste Jahrhundert zu verteidigen. Unsere Kämpfe müssen wir selbst führen – kein automatisiertes System wird das für uns tun.
Fiktiver Bericht von Tales Tomaz, Kommunikationswisschenschaftler an der Universität Salzburg, inspiriert durch seine Medienforschung und seine Erfahrung als Migrant und Vater.
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