Hörsturz #6: Vom Radiomachen als Beruf und als unbezahlte Leidenschaft
Zugegeben, ich bin kein Stammhörer der Radiofabrik; ich höre die Sendungen des Freien Radios immer wieder. Und jedes Mal, wenn ich – meist den Livestream im Internet – andrehe, dann tauche ich in einen besonderen akustischen Kosmos ein. In eine Radiowelt, die ich im restlichen massenmedialen Angebot nicht finde. (von Gerhard Rettenegger)
Das Programm der Radiofabrik ist anders: mir fällt die große Bandbreite bei der Qualität der Sendungen auf. Da sind Musiksendungen, die von absoluten Kennern des Genres mit profundem Hintergrundwissen gemacht werden. Da höre ich Sendungen, in denen gesellschaftspolitische und kulturelle Anliegen ambitioniert thematisiert werden. So erfolgreich, dass sie, wie ein Beitrag aus dem Radiomagazin der Straßenzeitung, mit einem Radiopreis der Stadt Salzburg ausgezeichnet werden. Dann höre ich wieder Strecken, die – sagen wir – spontan zu entstehen scheinen, nach dem Motto: „Jetzt sind wir schon einmal im Live-Studio, jetzt senden wir halt.“
Das mit der technischen Qualität ist so eine Sache. Nach Jahrzehnten des Radiomachens schmerzen mich Pegelsprünge in Sendungen – einmal laut, einmal leise – wahrscheinlich berufsbedingt.
Auch gefühlte Ewigkeiten des Schweigens zwischen Anmoderation und Musik, wenn der Titel einfach nicht starten will. Technische Havarien in Livesendungen überhaupt. Ich getraue mich nicht zu sagen, wie störend diese Pannen Hörerinnen und Hörer empfinden, die kein Radiomacher sind. Ziemlich sicher bin ich mir aber, dass der Inhalt einer Sendung besser rüber kommt, besser verstanden und auch mehr geschätzt wird, wenn das sensible Sinnesorgan Ohr nicht durch unmotivierte Sprünge in der Lautheit oder durch andere technische Unzulänglichkeiten irritiert oder gar gestört wird. Wie bei einem gedruckten Text ein gefälliges Layout und eine geeignete Schriftart zum Lesevergnügen beitragen, ist es beim Radio das akustische Erscheinungsbild – Schnitt, Aussteuerung, etc. – das Zuhören zum Hörvergnügen macht. Insofern hilft das Knowhow aus den Audioworkshops der Radiofabrik Sendungen noch attraktiver zu machen.
Gemeinsame Leidenschaft und verschiedene Radiowelten
Das Streben nach attraktiven Sendungen ist eine Leidenschaft, die alle Radiomacher einen sollte. Den Profi, der Radiomachen als Beruf ausübt, eine Fachfrau oder ein Fachmann auf dem Gebiet ist und dazu noch Geld verdient. Und auch die Amateure, die keine entsprechende Ausbildung absolviert haben, rein aus
Interesse und Vergnügen vor dem Mikrofon und am Mischpult steht.
Sie treibt nur die Leidenschaft an, denn sie bekommen fürs Radiomachen
nichts bezahlt.
Und dennoch werden es immer zwei Radiowelten bleiben, die kommerziellen und öffentlichen Radiosender auf der einen sowie die Radiofabrik auf der anderen Seite. Zwangsläufig. Das Selbstverständnis der ersteren ist es, mit dem Programm eine größtmögliche Zuhörerschaft an das jeweilige Programm zu binden, um möglichst hohe Werbeeinnahmen zu lukrieren oder Rundfunkgebühren zu legitimieren.
Das Selbstverständnis der Radiofabrik hingegen ist es, den offenen Zugang zum Radiomachen zu gewährleisten. 300 Sendungsgestalterinnen und Sendungsgestalter machen davon Gebrauch. Unterschiedlichste Leute, die Radio nicht nur hören, sondern auch machen wollen, aus unterschiedlichsten Motiven.
Jede und jeder von ihnen entscheidet ganz individuell, wie viel professionelles Rüstzeug er oder sie sich über die Grundausbildung hinaus aneignen will. Solange sie die Richtlinien der Radiofabrik einhalten, gehen sie auf Sendung. Der freie Zugang zum Radiomachen ist oberste Prämisse für ein Freies Radio.
Die Radiofabrik ist wie ein buntes Mosaik.
Wenn etwa an einem Abend Jazz auf Metallica, auf Literatur, auf italienische Musik und auf „Top Alba Radio“ trifft. Solch ein Programm wird wohl nur von wenigen durchgehört. Die Zielgruppen sind höchst unterschiedlich. Der Publikumsaustausch, wie es im Fachjargon heißt, ist sicherlich groß. Das ist kein Nachteil, das ist der Preis der Vielfalt. Das ist die Welt der Radiofabrik. Und ich tauche immer wieder gerne in diese Vielfalt der so unterschiedlichen Sendungen ein.
Gerhard Rettenegger, langjähriger Chefredakteur des ORF
Salzburg, leitet jetzt das „Future Lab Online“ des ORF.
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