Hörsturz #3: Von Freibeutern und der Welt, wie sie ist
Die Diskussion über Reform der Urheberrechte hat einen Höhepunkt erreicht. Und einen Tiefpunkt in der Überheblichkeit, was Netz kann. (von Alf Altendorf)
Tragen Ihnen Ihre 300 Facebook-Freunde beim Siedeln die Möbel hoch? Haben Sie schon mal 100 Euro ertwittert, weil die Kohle zum Monatsende alle war? Hält Sie die Flirtbörse Ihrer Wahl im Arm, wenn Sie von Ihrer Liebe verlassen wurden? Ihre Mutter gestorben ist?
Es gibt viele Situationen im Leben, wo wir „Freunde“ brauchen. Und keine „Likes“. Körperliche Zuwendung und Wärme. Hilfe, die Ihnen die Hand führt. Und keinen anonymen Rat von Online-Freunden. Denen wir egal sind.
Der Hype um die Piraten-Parteien und Social Media erinnert mich an den Internet-Hype in der zweiten Hälfte der 1990er. Damals rief Jon Perry Barlow, Songwriter der Grateful Dead und Netzaktivist, die Unabhängigkeit des Cyperspace aus: „Regierungen der Industriellen Welt, ihr müden Riesen aus Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace, dem neuen Zuhause des Geistes. Als Vertreter der Zukunft bitte ich euch aus der Vergangenheit, uns in Ruhe zu lassen. Ihr seid nicht willkommen unter uns. Ihr habt keine Souveränität, wo wir uns versammeln“. Kommt einem bekannt vor. Als wäre es von jetzt.
Das Manifest war 1996 gute Literatur. Aber inhaltlich Schwachsinn. Ausgerufen von der kalifornischen Techno-Elite wurde eine Heilslehre für die Welt phantasiert, in der sich alle Ungleichheiten durch Datenkörper verwischen. Wo über Anarchie eine neue Gesellschaft entsteht.
Kritik gab es schon damals, wenn auch verhalten. Das Netz war jung, akademisch geprägt und hatte die Masse noch nicht wirklich erreicht. Da passte der Text zu gut, um sich missionarisch, cool, freiheitsliebend und subversiv vorkommen zu können.
Als die Masse der Bevölkerungen das Netz übernahm, war klar: Oft bilden sich nur bestehende soziale Gegensätze im Netz ab. „Digital Divide“ wurde das genannt.
Natürlich lässt sich per „Crowd Funding“ Geld aufreissen. Für Leute, die was von Marketing verstehen, Erfahrung mit Einsatz ihrer persönlichen Netzwerke haben, geht „Fund Raising“ jetzt einfacher. Ohne soziale Kompetenz und Penetranz eines Gebrauchtwagenhändlers funktioniert auch der neue Weg nicht. Wurde etwas „gleicher“? Nein, nur anderes Werkzeug steht zur Verfügung für Menschen, die bereits was können.
Die Radiofabrik bildet über 600 Menschen pro Jahr in sogenannter Medienkompetenz aus. Nicht per E-Learning, sondern in praktischer Arbeit mit Jugendlichen und Erwachsenen. Ist mühsam, klar. Und aufwändig, auch klar. Und wir überspringen dadurch gemeinsam „Soziale Gräben“, in die sonst viele stürzen. Weil jemand die Sprache nicht kann. Soziale oder ökonomische Probleme hat. Weniger gebildet ist.
Uns kann man treffen. Wir tragen Dir die Möbel rauf.
Ich habe kein Rezept, wie „künstlerische Arbeit“ im Zeitalter der Kopierbarkeit am besten zu entlohnen ist. „Kulturelle Flatrates“, eine Art Steuer auf jedes Endgerät, ist zum Beispiel eine Möglichkeit. Ob die AKM und andere bestehende Verwertungsgesellschaften die richtigen sind, diese Mittel wieder zu verteilen, darf bezweifelt und sollte eher verhindert werden. Mit welch´ kindlicher Freude dafür Teile der Piratenpartei künstlerische Arbeit mit totalem Rechteverlust belegen wollen, erinnert wieder an Barlow: „Ihr habt keine Souveränität, wo wir uns versammeln.“
Das war eine Position von 1996.
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