Durch die Nacht …
Perlentaucher Nachtfahrt am Freitag, 8. Dezember um 22:06 Uhr
Auf gehts in die längste Nacht aller Jahreszeiten! Die Wintersonnenwende steht genauso unentrinnbar bevor wie das Weihnachtsfest (klüglicherweise hat man das ja auch genau auf dieses Datum im Jahreskreis gelegt). Und wir stehen mitten dazwischen und erwarten das Kommende. Es ist ja auch Advent, allein dieser Umstand löst in den meisten von uns die widersprüchlichsten Empfindungen aus. Zu Weihnachten krachen Erinnerung und Erwartungen oft dermaßen ineinander, das mir dazu sogleich der Satz von Arno Gruen “Terror kann in Geborgenheit umkippen” in den Sinn will. Was ist eigentlich “das Liebgewordene” an so mancher Gewohnheit? Wie es nun einmal der Brauch ist, erwartet uns auch in dieser Nachtfahrt wieder allerlei Ab- und Hintergründiges.
Die längste Nacht und somit auch die finsterste, in der das Erwarten des endlich erlösenden Lichts auch noch durch die jahreszeitliche Kälte verstärkt wird – das ist auf jeden Fall auch eine passende Beschreibung für jene unwillkommenen Geistes- und Seelenzustände, welche meist mit Einsamkeit, Krankheit oder Tod in Verbindung gebracht werden. Die Niedergeschlagenheit, die sich mit dem Ausbleiben von Lichtblicken und konkreten Perspektiven in geradezu ausweglose Verzweiflung steigern kann, die kommt ja hierzulande gern unter dem betulichen Titel “Winterdepression” daher. Um sämtliche Arten von sich jeweils bemerkbar machenden Gefühlslagen wahr- und in weiterer Folge ernstnehmen zu können und uns dabei immer noch selbstbestimmt zu sortieren, ist es wohl ebenso hilfreich wie heilsam, die bemerkenswerten´Berichte von empfindsamen Kunstschaffenden zu sich zu nehmen. “Dadurch kann ich mich besser spüren und verstehen”, wie ich einem befreundeten Musiker unlängst schrieb.
“Wenn die Nacht am tiefsten ist”, das wusste schon Rio Reiser, “ist der Tag am nächsten”. Und das ist auch das Geheimnis der finsteren Nächte, ganz gleich ob es sich um innere oder äußere Nachtwelten handelt. Dem radikalen Absterben wohnt das Wiederaufwachen inne, genau so wie dem Ausatmen das Einatmen oder dem Scheißen das Essen. Der totale Höhepunkt des Winters ist die konzentrierteste Form des Sommers. Es dabei bewenden lassen zu können und nicht nach übergeordneten Sinnerklärungen suchen zu müssen, das könnte eine Haltung sein, in der es sich ebenso entspannt leben wie auch sterben ließe, ohne sich jedesmal im Augenblick des Übergangs verzweifelt zu verkrampfen. Die eigenen Gefühlswelten und Seinszustände allerdings zum Ausdruck zu bringen, in welcher Gestalt auch immer (Text, Bild, Musik, Kostüm, Raumgestaltung, Collage), ist die Grundlage dafür, sie mitzuteilen, sie mit anderen kommunizieren zu können.
Das nämlich erzeugt “Kontakt” oder eben “Berührung”, und die braucht es, damit “der Funke überspringt”und “Gemeinsames” entsteht. Was waren die wesentlichen Merkmale der finstersten Nacht? Mangel an Licht und Mangel an Wärme, wenn ich nicht irre. Und auch die schiere Verzweiflung kann als Einsamkeit charakterisiert werden. Die Rede ist von den drei Elementen, die quasi den Keim des nächsten Sommers ausmachen – und mitten in der tiefsten Nacht auf ihr Erwachen warten. Wohlan, wir wollen das unsere dazu beitragen, sie gemeinsam erlebbar zu machen. So, wie wir in den vergangenen Jahren die Erscheinungsform des Adventsingens immer wieder zu neuen thematischen Winterreisen umgestaltet haben, zünden wir auch dieses Mal die Lichtlein an, die das innere Feuer trotz widerlicher Umstände am Leben erhalten. Ihr Kinderlein (und damit sind alle inneren mitgemeint), kommet zu Hauf – und überhaupt. So ihr nicht werdet, seid ihr bereits – doch wenn ja, was dann? Ent oder weder …
Wollen wir auch dem Unfertigen Raum und Zeit geben, dem noch nicht Gedachten, Gesagten oder sonstwie zu Gestalt gebrachten. Dem noch nicht Beschreibbaren, dem, das noch kein Bild, keinen Geruch, keinen Klang hat, dem Formlosen, dessen Form reine Veränderung ist. In Bewegung bleiben kann mehr bedeuten als nur immer unterwegs zu sein. Oh unfassbar scheint vieles von dem zu sein, was mich bewegt. Woraus bestehen wir? Gibt es eine naturwissenschaftliche Erklärung für Literatur? Für Malerei? Für Musik? Für Liebe? Unsere dieses Mal vier Stunden heißen Bekanntes, Verwandtes, Unbekanntes, Erkennend. Und genau das alles soll diese etwas andere Adventandacht enthalten. Zwischen Verschiedenem und zugleich sowohl als auch. Abgründig unterwegs die Scheinwelt entzaubern im kreativen Vakuum der magischen Phantasie. Der springende Punkt beim tot.leben ist der inmitten des Worts. Vor dem Anfang und nach dem Schluss … vertrauen …
Sendungen zum Nachhören
Jenseits von Schatten (Perlentaucher CLXVIII)
Die Schatten werden länger. Sagt man so – und passt auch in die Jahreszeit. Das hat – in unserer Außenwelt – mit dem Stand der Sonne zu tun. Wie verhält sich das hingegen mit den anderen möglichen Bedeutungen der Begrifflichkeit? Den Schattenanteilen der eigenen Persönlichkeit,…
Whatever, Anyway (Perlentaucher CLXVII)
Zwei von uns beiden besonders gern benutzte Symbolwörter. Immer dann, wenn der Redefluss ans Unendliche aussagbarer Möglichkeiten gelangt und es daher notwendig wird, dass der Gesprächspartner selbst weiterdenkt und spontan-assoziativ in die schier unerschöpfliche Welt der Wortbilder “hineingreift”, um das “hervorzuformulieren”, was immer schon im…
Zeit und Lebenszeit (Perlentaucher CLXVI)
Hast du Zeit? Anhand dieser einfachen Frage, die noch dazu in unendlichen Variationen durch unser Leben geistert, wollen wir die Beziehung des Menschen zur Zeit hinterfragen. An dem Punkt tauchen auch schon die ersten Abzweigungen im Gedankengang auf, nämlich “zur Zeit überhaupt” oder “zur eigenen…
In Between Days (Perlentaucher CLXV)
Das Dazwischen fasziniert und beschäftigt uns eigentlich schon immer, von der Zwischeninsel Poesie über das Inzwischen Unterwegs bis zu unserer Betrachtung Zwischen Leben und Überleben. Was läge also näher in diesen dazwischenen Tagen – in der Mitte des Sommers, der Ferien und der Festspielsaison –…
Poesie und Widerstand (Perlentaucher CLXIV)
Diese beiden Begriffe beschäftigen uns offensichtlich schon seit Anbeginn unserer gemeinsamen Radioarbeit. Sowohl Poesie als auch Widerstand treten immer wieder in den unterschiedlichsten Zusammenhängen hervor, sowohl im Artarium als auch bei den Perlentauchern. Die Suche nach ihrem Verhältnis zueinander bildet dabei einen roten Faden, der…
Lass' uns einen Kommentar da