„System Kurz“ in Salzburg?
Ein Sittenbild der Regionalmedien und Medienförderung im Bundesland. (von Alf Altendorf)
(Dieser Text wird im Dezember 2021 in adaptierter und gekürzter Fassung im Salzburg-Teil der KUPFzeitung erscheinen)
Die Aufdeckung des „System Kurz“ im Oktober 2021 hat zum Rücktritt des türkisen ÖVP-Bundeskanzlers geführt. Die über die „Chatprotokolle“ bekannt gewordene Manipulation der Öffentlichkeit über Inserate, Einschaltungen und Förderungen für regierungsfreundliche Berichterstattung durch die „Österreich-Fellner-Mediengruppe“ weckt den Ruf nach Neustart der Medienförderung. Nach Transparenz und Qualität.
Doch wie sieht es in ÖVP-regierten Bundesländern aus? Gibt es auch hier ein „System Kurz“? Blicken wir nach Salzburg und auf seine privaten TV-Rundfunkveranstalter.
Die Lage in Salzburg
Das Angebot ist überschaubar. Neben dem national ausgerichteten Servus TV des Redbull-Milliardärs Mateschitz gibt es nur zwei regionale Sender: das privat-kommerzielle RTS, und das nicht-kommerzielle Community TV FS1. RTS werbefinanziert, FS1 finanziert durch Förderungen. Sollte man meinen.
RTS bietet laut Eigendefinition ein „Wohlfühlfernsehen für Land und Leute“ an. „Keine Negativschlagzeilen“ laut Homepage, und „für die Wirtschaft“, wie RTS-Chef Josef Aichinger ausführt. Und „es funktioniert“, wie es weiter auf der Webseite heißt.
Ein „Medien-Spa“, saftige Landschaften, rotbackiges Volk, blühendes Gewerbe, nur keine Aufregung, frei nach der Salzburger Tourismuswerbung? Klingt doch fast wie ein Werbespot für welche Partei, die ländliche Regionen immer schon dominiert hat?
RTS und das Geld
Beide Haupteigentümer von RTS sind Ex-ÖVP Bürgermeister: Josef Aichinger von Abtenau, Christian Struber von St. Koloman. „Ich habe in der ÖVP keine Funktionen mehr, das ist Vergangenheit“, sagt Aichinger. Es seien alle Parteien auf Sendung, man halte sich aus der Politik raus. Und Christian Struber mische sich nicht ein.
Weniger gut funktioniert das Wirtschaften von RTS, aufregend sind die Bilanzen. Das Firmenbuch weist für 2019 ein negatives Eigenkapital von 300.000 Euro, und einen Bilanzverlust von 430.000 Euro aus. Die Firma ist überschuldet und nur wegen privaten Haftungsübernahmen nicht in Insolvenz.
„Alles mein Geld“, betont RTS-Chef Aichinger. Er beziehe nur sein Gehalt, Kapital habe er nie entnommen, vielmehr nur sein Geld in den Betrieb gesteckt. Entstanden seien die Verluste in den ersten Jahren, heute laufe der Betrieb kostendeckend.
Rückzuverdienen seien die Verluste nach Meinung eines ungenannt bleiben wollenden Finanzexperten kaum. Denn die Veränderung des Medienmarkts, die Verschiebung von Werbebudgets zu Online, hat gerade für kommerzielle Regionalsender Auswirkungen. War der werbefinanzierte Betrieb eines teuren Fernsehens im ländlichen Raum immer schon schwierig, ist er heute noch schwieriger geworden.
Die Finanzierung Freier Medien.
Community TVs wie FS1 in Salzburg, dorf tv in Linz und Okto in Wien erhalten Mittel aus dem „Nichtkommerziellen Rundfunkfond“ (NKRF). Städte und Bundesländer tragen über Kultur- oder Bildungsförderungen weitere Mittel bei. Diese erhalten im Gegenzug hochwertige, politisch unabhängige Bildungsangebote. Medienkompetenz für die breite Bevölkerung und Zivilgesellschaft. Sender, die freiwillig die Standards des Österreichischen Presserats einhalten. Transparente und ökonomisch stabile Medienunternehmen als deren Träger. Mit „Public Value“, ein Begriff, der den Wert von Medien für die Gesellschaft einstuft. Dass dies für Community Medien zutrifft, wurde 2020 in einer Studie der Regulierungsbehörde RTR belegt.
Also: Gemeinnützigkeit und die Einhaltung von Qualitätskriterien gegen Inanspruchnahme von Förderungen.
Veränderung der nationalen Spielregeln
2019 wurde durch die türkis-blaue Bundesregierung ohne Diskussion der „Privatrundfunkfonds“ für Kommerzielle um weitere 5 Millionen auf 20 Millionen Euro angehoben. Ohne seine sowieso mit 3 Millionen mager dotierte Entsprechung NKRF für Community Medien anzupassen. Davon gingen alleine mehr als 2 Millionen an die Fellners. Ein Schelm, wer heute einen Zusammenhang zum „System Kurz“ herstellt.
Profitiert haben auch regionale Kommerzielle. So liegt 2021 die nationale Förderung für RTS mit 220.000 Euro inzwischen fast auf dem seit 10 Jahren stagnierenden Niveau von FS1 mit 240.000 Euro.
Gemeinnützig?
Und im Bundesland? Anfang 2021 gründete RTS einen Bildungsverein „Lern.Film.Studio“. Geleitet von einer ehemaligen LEADER-Managerin und heutigen RTS-Mitarbeiterin als Obfrau. RTS-Geschäftsführung als Kassier und RTS-Chefredaktion im Vorstand. Sitz am Standort des Senders. Es sei Platz im Büro gewesen, aber sonst sei der Verein unabhängig, teilt RTS mit. Und „gemeinnützig“. Auf Nachfrage, was „Gemeinnützigkeit“ – ein steuerlicher Begriff, verliehen vom Finanzamt nach einigen Bestandsjahren – bedeute, verweist RTS auf die Tätigkeit „Medienkompetenzvermittlung für Jugendliche“.
Durch den neuen Verein wurden gratis Filmworkshops für Schulen in Lungau, Pongau und Seenland in das „LEADER-Programm“ – ein gemeinsames regionales Förderprogramm der Europäischen Union und Bundesland – eingereicht. Kosten 175.000 Euro, Durchführung der Workshops vorwiegend durch RTS.
Und angeblich durch die LEADER-Gremien zweimal abgelehnt: keine fachliche Qualifikation, viel zu teure Workshops, Unwohlsein über einen ÖVP-nahen Sender im Hintergrund als Profiteur. Dann angeblich auf Druck von Landesrätin Andrea Klambauer (NEOS) positiv beschlossen, und vom Kulturlandesrat Heinrich Schellhorn (Grüne) befürwortet.
Eine Anfrage um Stellungnahme an Schellhorn blieb unbeantwortet. Von Klambauer kam die Auskunft, daß Bedenken der LEADER-Gremien nicht bekannt seien. Ihre Abteilung erhalte Projekte lediglich zur fachlichen Beurteilung. Durch Projektpartnerschaft mit der Bildungsdirektion, der Jugendorganisation „Akzente“, der Universität und Fachhochschule gäbe es weiters eine positive Bewertung durch Expertinnen und Experten. Es gehe darum, Angebote in den Regionen zu schaffen.
Allerdings: Zumindest das landesnahe „Akzente“ befinden sich in Zuständigkeit und finanzieller Abhängigkeit der Abteilung Klambauer, und fürchtet sich angeblich vor einer Neuausschreibung seiner Tätigkeit. Von Akzente wollte sich auf Anfrage niemand öffentlich äußern. Thomas Steinmaurer von der Universität und im Vorstand des Vereins beteuert, sein Beitrag sei „rein wissenschaftlich“. Mit organisatorischen und finanziellen Fragen – wohin Gelder fließen, wer hinter dem Projekt stehe – habe er sich nicht befasst.
Bildung durch wen nach welchen Kriterien?
Von der Abteilung Klambauer unabhängige Bildungsfachleute sehen das Projekt weniger positiv.
Helmut Peissl, Geschäftsführer von COMMIT – das Bildungsinstitut der österreichischen Community Medien – bemängelt, wenn kommerzielle Sender überhaupt Bildungsprojekte durchführen wollen, ein „Ethikkodex“ nötig wäre. Man dürfe nicht vergessen, daß fast immer Profitabsichten bestehen würden.
„Deshalb empfiehlt der Europarat Community Medien als Hauptakteure der Medienbildung“, ergänzt Carla Stenitzer, Ausbildungsleitung von Radiofabrik und FS1. Da habe man diese Probleme nicht. Und es fehle glaubwürdige „kritische Medienbildung“ bei dem Projekt.
Kritische Medienbildung. Was ist das?
Kritische Medienbildung – ein Begriff der politischen Bildung – hat aufgeklärte Menschen als Ziel, erklärt Stenitzer weiter. Die Hintergründe und Interessen analysieren, darüber reflektieren und ihre eigenständigen Schlüsse ziehen können. Wer ist und was macht das Medium, für das ich etwas produziere? Es sei beispielsweise kaum zu erwarten, dass RTS Werbung und ÖVP-Einfluss hinterfrage.
Parteien, Parteipolitik und parteinahe Sender haben in der Bildung überhaupt nichts verloren, sagt Bildungssprecherin Stefanie Mösl (SPÖ). Und sie sei unglücklich über die Zustimmung besonders der Grünen zum RTS-Projekt. Der Grüne Bildungssprecher Simon Heilig-Hofbauer war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Förderungen sind Medienpolitik
Gibt es ein „System Kurz“ in Salzburg? Nein, aber auch wenig Bewusstsein, dass jede Förderung an Rundfunkveranstalter Medienpolitik bedeutet. Und diese ist transparent und nach Kriterien zu gestalten. Orientierung bietet der Kulturentwicklungsplan (KEP), 2020 von der Landesregierung beschlossen. Darin ist unter Bildung formuliert: Die „Förderung (von) Community Medien (…) zur Stärkung der kritischen Medienkompetenz“ sowie die „Stärkung der kritischen Medienbildung (…) auf allen Ebenen“.
Alf Altendorf ist kaufmännischer Geschäftsführer der beiden Salzburger nicht-kommerziellen Rundfunkveranstalter Radiofabrik & FS1.
Die Sender betreiben seit mehr als 20 Jahren das umfangreichste Medienbildungsangebot der österreichischen Community Medien und sind der „kritischen Medienbildung“ verpflichtet.
Änderungen am Artikel:
2.11.2021 Landesrätin Klambauer wurde fälschlicherweise als „Bildungslandesrätin“ bezeichnet. Genau ist sie aber u.a. für Erwachsenenbildung und Jugend zuständig. Artikel an mehreren Stellen angepasst.
Erschienen auch @:
FS1 https://fs1.tv/gibt-es-ein-system-kurz-in-salzburg/
KUPF https://kupf.at/zeitung/180/die-medien-und-das-geld/
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